Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leipert Sabine
Vom Netzwerk:
Probleme damit. Er war der Superpapa. Er wusste, was Kai brauchte, und hatte genaue Vorstellungen davon, wie Eltern und Erzieherinnen Hand in Hand arbeiten konnten, so wie es die Politik verlangte. Er hatte Turnstunden im Kindergarten vorgeschlagen und gleich angeboten, das selbst ehrenamtlich zu übernehmen. Er hatte die Erzieherin überzeugt, dass Kai nicht hyper-, sondern nur aktiv war und seine überschüssigen Energien demnächst in einem Sportverein, in dem er ihn schon angemeldet hatte, in geregelte Bahnen gelenkt werden würden. Er hatte aus unserem Chaoskind in null Komma nix den liebenswürdigsten Jungen des ganzen Kindergartens gemacht und sich dann zufrieden von der Erzieherin verabschiedet, während mir der Angstschweiß noch hundert Meter weiter den Rücken runterlief.
    Ich war froh, dass Tim mitgekommen war, auch wenn er es vermutlich nicht nur wegen Kai getan hatte.
    »Hast du noch Zeit?«, fragte er denn auch wie auf Kommando, als wir in Richtung unserer Autos gingen. Ich sah auf die Uhr. Es war halb zwei. Eigentlich musste ich zurück in die Redaktion, aber wie immer kurz nach dem Ende der Fußballsaison und vor den großen Sommerevents wurde es ruhiger bei uns im Büro.
    Ich nickte. »Ein bisschen.« Und fügte dann eilig hinzu: »Aber ich habe keinen Schlüssel mehr. Ähm, Tina brauchte ihn für die Handwerker.« Ich musste ihm ja nicht unbedingt die erniedrigenden Umstände auf die Nase binden, unter denen ich gezwungen worden war, den Schlüssel abzugeben.
    Tim zuckte mit den Schultern. »Wir könnten einen Kaffee trinken gehen.«
    Ich zögerte, weil Tinas Beauty-Salon von hier nicht weit war und sich in meinem Kopf schon wieder ein Worst-Case-Szenario abspielte, bei dem sie Tim und mich zusammen in einem Café erwischte und eine lautstarke Predigt hielt, über Sarah und Hannes und dass das doch alles Menschen wie du und ich seien und was wir uns überhaupt dabei dachten, jetzt hier gemeinsam Kaffee zu trinken.
    Tim erahnte meine Gedanken scheinbar und fragte: »Auf dem Spielplatz? Da ist um diese Uhrzeit kaum jemand.«
    Ich nickte. Auf dem Spielplatz würde Tina sich bestimmt nicht herumtreiben. Wir schlenderten zum Bauwagen hinüber, in dem ein findiger Geschäftsmann direkt auf dem Spielplatz Kaffee verkaufte und sich an den übermüdeten Eltern der kleinen Energiebündel eine goldene Nase verdiente.
    Ich verbrannte mir an dem heißen Plastikbecher die Finger, während Tim sich mit Wasser und Gummibärchen eindeckte. Er trank keinen Kaffee und stellte mich damit vor ein biologisches Rätsel, weil ich mich früher jeden Morgen gefragt hatte, welche körpereigenen Enzyme Tim schon um sechs Uhr morgens in Schwung brachten und mir ganz offensichtlich fehlten.
    Wir gingen zur Bank, entschieden uns dann aber für die Kletterburg, als die ersten Tropfen kleine Druckstellen im Sand hinterließen. Tim hatte Mühe, durch die kleine Öffnung in die unterste Etage der Rutsche zu gelangen, aber hier blieb es wenigstens trocken. Wir ließen uns auf dem Boden nieder und ich dachte nur, wenn uns hier jemand zusammen erwischte, dann können wir uns noch nicht mal mehr damit rausreden, nur einen Kaffee trinken gegangen zu sein. Ich nahm einen Schluck aus meinem Becher und verzog das Gesicht. »Baaah, ich hatte ganz vergessen, wie ekelhaft der Kaffee hier schmeckt.«
    Tim bot mir ein Gummibärchen an, zum Versüßen, aber ich lehnte dankend ab. Wir sahen uns etwas verkrampft an.
    Gut, jetzt waren wir also hier und tranken Kaffee respektive Wasser ohne Kohlensäure. Und was jetzt? Sex war ausgeschlossen, das sah Tim ja wohl auch ein. Aber reden wollte er offensichtlich auch nicht. Er war auffallend schweigsam, und ich wusste auch nicht so recht, was ich sagen sollte.
    »Erinnerst du dich noch an das erste Mal, als wir auf diesem Spielplatz waren?«, durchbrach er dann doch unser gemeinsames Schweigen.
    Und wie ich mich noch daran erinnerte. Es war die schlimmste halbe Stunde meines Lebens gewesen. »Wir hatten Kai zum ersten Mal in den Kindergarten gebracht und sollten ihn kurz alleine da lassen.«
    »Ich musste dich zwingen, in Ruhe deinen Kaffee auszutrinken, was dir sonst eigentlich nie schwerfällt.«
    »Bei dem Kaffee aber eine absolute Zumutung war.«
    »Wir dachten, dass Kai die ganze Zeit weint.«
    »Dabei hat er sofort mit den anderen Kindern gespielt und wollte gar nicht mehr mit nach Hause.«
    Tim nickte und wir mussten beide bei der Erinnerung lächeln. Wieder schwiegen wir, aber ich wurde das

Weitere Kostenlose Bücher