Seitenwechsel
brächten, oder eine Unwetterwarnung oder ein Hochdruckgebiet. Aber nein, wie immer bekam ich morgens nichts mit, und die WDR 2-Wettervorhersage war ungehört an mir vorbeigerauscht.
Also stand ich jetzt ahnungs- und themenlos der überaus gesprächsbereiten Freundin meiner Ex-Affäre gegenüber. Ich tat so, als müsste ich meine Hightech-Joggingschuhe noch mal zubinden, weil die Schnürbänder sich noch nicht ergonomisch an meinen Oberfuß angepasst hatten, oder so. Und ausgerechnet als ich Sarah meinen Hintern entgegenstreckte, sprach sie doch noch das Tim-Thema an, das ich tunlichst vermeiden wollte.
»Übrigens, Karina, ich wollte mich schon längst bei dir entschuldigen, aber irgendwie hat es sich nie ergeben. Die Situation war nie so passend.« Jetzt wirkte auch ihr Lachen endlich verkrampft.
Sollte ich sie vielleicht darauf hinweisen, dass die Situation jetzt auch eher unpassend war? Wenn sie sich jetzt bei mir entschuldigte, konnte ich mich nicht mal mehr darauf berufen, dass sie mich zuerst betrogen hatte. Dann lag die Schuld ganz bei mir und nicht nur zur Hälfte. Dann war mein winziges moralisches Polster, das es mir ermöglichte, mir selbst noch in die Augen zu schauen, endgültig dahingeschmolzen. Entsetzt starrte ich sie an, doch sie schien meinen Blick nicht zu bemerken.
»Ich will einfach mal Klartext reden. Das mit Tim tut mir wirklich, wirklich leid. Ich hatte ganz bestimmt nicht die Absicht, ihn dir auszuspannen.« Ausspannen? War das nicht etwas 80er? Da hatte ich Tina jedenfalls den Tennislehrer ausgespannt. Aber man spannte jemandem doch nicht einen erwachsenen, fast-(er-war-nur-zu-feige-zu-fragen-)verheirateten Mann mit Kind aus. Man stieg höchstens mit einem erwachsenen, fast verheirateten Familienvater ins Bett und zwang ihn, seine Freundin zu verlassen. Um mal Klartext zu sprechen.
»Ich hätte auch nie etwas mit Tim angefangen, wenn nicht …« Sie stockte genau an der Stelle, die mich eigentlich am meisten interessierte. Ich versuchte, sie mit meinem militant-freundlichen Lächeln zum Weiterreden zu bewegen. »Wenn was nicht?!«
»Na ja, ich mochte ihn auf Anhieb, als er an unsere Schule kam«, fuhr sie endlich fort. »Aber ich hätte natürlich nicht im Traum daran gedacht, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte. Aber als Tim mir dann deutliche Avancen machte, habe ich einfach nicht mehr über die Konsequenzen nachgedacht. Dass dahinter natürlich noch eine Frau steckt, und sogar ein Kind, das auch darunter zu leiden hat … Also noch mal, es tut mir wirklich leid.«
Mein Gesicht erstarrte zu einer grimassenhaften Hülle. Wie jetzt, Avancen? Es war ja wohl vollkommen klar, dass sie Tim mit ihrem loreleyartigen Gesang ins Verderben gelockt hatte. Ich hatte es doch direkt vor Augen, wie sie dort in einer dieser kleinen Ausbuchtungen der Pont-Neuf standen, nur sie beide, ganz alleine, nachts, mit Blick auf den hell erleuchteten Eiffelturm, ihre Finger berührten seine leicht, wie aus Versehen. Dann hatte sie ein Lied gesummt, irgendeine Schnulze, und schon war es um meinen Tim geschehen. Tim hatte ihr keine Avancen gemacht. Das … das … konnte er überhaupt nicht. Ich rang um Fassung und wusste nichts darauf zu erwidern. »Auf jeden Fall bin ich froh, dass du das so gut weggesteckt hast. Also, wenn mir das passiert wäre, ich weiß nicht, ob ich dann jetzt mit mir hier stehen und zusammen walken gehen würde.«
»Wirklich?« Ich lachte ein bisschen zu hoch.
»Ja, ich finde das echt klasse von dir.« Sie strahlte mich an, sichtlich erleichtert, ihre Entschuldigung endlich über die Lippen gebracht zu haben.
»Na ja, ähm, so wild ist das nun auch wieder nicht«, versuchte ich meine Großzügigkeit etwas herunterzuspielen und überlegte, ob ich noch so etwas wie ›Tims Freunde sind auch meine Freunde‹ oder ›mi casa es su casa‹ hinzufügen sollte, um ihr meinen Gedanken von der einen großen Familie vorsichtig näherzubringen. Aber zum Glück tauchte Tina jetzt endlich auf und erlöste mich von Sarahs Lobhudelei, die mir etwas unangenehm war.
»Sorry, aber da war echt ein Verkehr auf der Äußeren«, säuselte sie, und ich warf ihr nur einen eiskalten Blick zu. Ja klar, Misses, pardon, Miss Überpünktlich, die zu jeder Verabredung zehn Minuten zu früh erschien, war ausgerechnet heute in einen Stau geraten. Das war doch alles ein abgekartetes Spiel!
»Können wir dann los?«, zickte ich sie an, und sie flötete zurück: »Natürlich, habt ihr euch schön
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