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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leipert Sabine
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unterhalten?«
    Wir gingen im gemächlichen Tempo den Waldweg entlang und bogen dann nach links Richtung Weiher ab. Hier zogen wir das Tempo etwas an, wobei wir noch deutlich unter dem Laufschrittniveau blieben, in dem ich normalerweise durch den Tag hetzte, von einer Verspätung zur nächsten. Mir war auch nicht wirklich klar, was daran nun gesünder war, aber nach Tinas Hochzeit würde es ohnehin damit vorbei sein.
    »Ist das Tempo in Ordnung?«, fragte Tina unsere neue Mitgeherin.
    »Ja, wunderbar. Tim sagt immer, dass man nur Fett verbrennt, wenn man im aeroben Bereich bleibt. Man muss beim Trainieren noch problemlos reden können«, erklärte sie und tat das dann auch ohne Unterlass. Zugegeben, Sarah redete nicht ungefragt. Nein, Tina bohrte nach, bei jedem Thema und jeder Anekdote. Ich wusste genau, was Tina vorhatte. Mit jedem Meter, den wir zurücklegten, wurde aus Sarah ein Stück weniger Konkurrenz und mehr Mensch, mit Fehlern und Vergangenheit. Ich sollte wissen, wen ich betrog, wenn ich mit Tim ins Bett ging.
    Sarah kam aus Bielefeld und hatte erst in Köln erfahren, dass landesweit berechtigte Zweifel an der Existenz dieser Stadt herrschten. Sie kam auch nicht wirklich aus Bielefeld, was diese Theorie also wieder bestätigte, sondern aus einem Kaff bei Bielefeld, an dessen Existenz man noch mehr zweifeln musste. Sie hatte zwei Brüder und drei Schwestern, und ihre Eltern waren Bäcker. Ehrliche, hart arbeitende Menschen, die ihr Leben lang Brötchen backen mussten, um ihre sechs hungrigen Mäuler zu stopfen. Und wenn man nach Sarah urteilen konnte, mussten diese Mäuler verdammt hungrig gewesen sein. Wahrscheinlich standen sie jeden Tag um vier Uhr auf, kneteten stundenlang Teig, schufteten im Sommer bei über fünfzig Grad neben dem Ofen. Und dann die bittere Enttäuschung, als ihre älteste Tochter nicht den Familienbetrieb übernehmen wollte. »Sonst wäre ich vermutlich jetzt genau so eine Tonne wie meine Mutter«, lachte sie ihr mitreißendes Lachen, und Tina stimmte herzhaft mit ein. »Aber wer weiß, vielleicht werde ich das ja noch, wenn ich erst mal sechs Kinder habe.«
    Schluck. Kinder?
    »Willst du denn Kinder?«, stocherte Tina da rein, wo es am meisten wehtat.
    Sarahs Antwort kam zögerlich, weil sie ahnte, dass man so etwas nicht im Beisein der Ex ihres ausgespannten Freundes besprach. »Na ja, bei fünf Geschwistern liegt das wohl in der Familie.« Natürlich wollte sie Kinder. Dass ich daran nicht gedacht hatte. Mit zweiunddreißig suchte man keinen Freund mehr, da suchte man einen Vater für seine zukünftigen Kinder, das hatte die Natur schließlich so eingerichtet. O Gott, vielleicht war sie sogar schon schwanger?
    Ich starrte krampfhaft auf den staubigen Boden vor mir und konzentrierte mich darauf, beim Walken nicht zu albern auszusehen. Anfangs hatten Tina und ich geplant, den Decksteiner Weiher komplett zu umrunden. Aber dann hatten wir schon nach der Hälfte schlappgemacht. Inzwischen schoben wir unsere halbierte Strecke auf den Eismann, der seinen Wagen am Ende der Allee hingestellt hatte, wie ein unverschämtes Grinsen direkt in das von Schweiß und Spucke verschmierte Gesicht all derer, die sich wie wir abmühten, eben jene Kugeln Eis von den Hüften zu walken, die sich dort die letzten Jahre über angesammelt hatten. Wir machten jedes Mal kurz vor dem Eiswagen kehrt. Aber heute war mir selbst diese Strecke zu lang. Nach einem weiteren Kilometer wusste ich, dass Sarah immer Lehrerin werden wollte, weil sie gerne mit Kindern zu tun hatte, und dass Musik sich einfach angeboten hatte, weil in ihrer Familie viel gemeinsam musiziert wurde. Dass sie für ein Studium an der Musikhochschule zu wenig Disziplin an den Tag gelegt hatte und es außerdem etwas Solides sein sollte, wo sie doch schon keine Bäckerin geworden war. Ich dachte an mein abgebrochenes Lehramtsstudium und meinen Von-Hinten-durch-die-Brust-ins-Auge-Quereinstieg in den Sportjournalismus und fragte mich, was ihre Eltern wohl dazu gesagt hätten? Meine hatten zu dem Zeitpunkt schon aufgehört, mit mir über so etwas Unplanbares wie meine Zukunft zu reden.
    Und zu guter Letzt, als das Ziel schon fast in Sichtweite war, erfuhr ich auch noch alles über Sarahs missglücktes Liebesleben – vor Tim. Offenbar war sie nur nach Köln gekommen, weil ihr großer Jugendschwarm eine andere geschwängert und dann geheiratet hatte. Dabei hätten ihre Freundinnen sie vor der Domstadt gewarnt, kicherte sie, weil sie hier auch nicht

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