Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
ein grauhaariger Mann, und ich kam mir vor, als wäre ich zum Schuldirektor geschickt worden. Ich dachte, es gehe dabei um die Affäre, aber er wollte tiefer graben, viel tiefer. Ich zerknüllte Taschentuch um Taschentuch und weigerte mich, dorthin zurückzukehren.
»Es hätte nichts genützt«, entgegne ich. »Ich war zu verletzt.«
»Das sagst du immer, als wäre es eine Art Mantra. Hast du je darüber nachgedacht, dass es vielleicht auch ein wenig komplizierter sein könnte?«
»Behandle mich nicht so herablassend!«, blaffe ich ihn an.
»Ich bin nicht herablassend. Kennst du das Gaia-Prinzip?«
»Ja, ich kenne das Gaia-Prinzip«, fauche ich, obwohl ich nur eine vage Vorstellung davon hatte. Dass Dom überall ein wenig mitreden konnte, gehört zu den Dingen, die besonders nervend an ihm waren, sofern man nicht gerade ein Kneipenquiz machte. Daneben kann sich jemand, der sich hauptsächlich mit Sauce hollandaise auskennt, schnell ein wenig doof vorkommen. »Was willst du damit sagen?«
»Die ganze Welt ist demnach ein lebender, atmender Organismus. Alles ist miteinander verbunden. Eine in China sterbende Fliege hat Auswirkungen auf eine in Iowa grasende Kuh. Eine Beziehung muss demnach auch ein Organismus sein, nicht wahr? Ich will damit nicht sagen, dass du schuld bist, ich will mich davon nicht freisprechen, aber es kam nicht von ungefähr.«
Das ist meine Chance, meine Gelegenheit, die Antworten auf all die Fragen zu bekommen, die mir mitten in der Nacht durch den Kopf schwirren. Da sind die jämmerlichen, die um Hilfe schreien: »Was habe ich falsch gemacht?«, »Findest du sie hübscher als mich?«, aber es gibt auch die beängstigendere erwachsene Version, wo wir wirklich darüber reden, was schiefgelaufen ist. Aber wenn er meiner damals so überdrüssig war, was sollte ihn jetzt wieder für mich einnehmen? In welche geheimnisvolle Form müsste ich meine Persönlichkeit kippen, damit ich die richtigen Konturen bekam, die Gewinnformel, mit der ich sein Herz zurückgewinnen würde? Und wie sollte ich jemals das Vertrauen haben, jemals wissen, dass ich es nicht wieder vermasselte, nicht wieder irgendeinen geheimnisvollen Test verbockte, von dessen Vorhandensein ich im Augenblick seiner Wahl gar nichts wusste? Ich würde das nicht ein zweites Mal durchstehen. Besonders demütigend war für mich die Erfahrung, dass ich seiner nie überdrüssig war, ich immer von ihm eingenommen war. Es war zwar nicht unbedingt mehr blinde, berauschende Leidenschaft, sondern etwas anderes, etwas Tragendes. Ich verdränge meinen Schmerz und schließe die Wunde mit groben Zickzackstichen.
»Was, jetzt ist es also mein Fehler?«
»Du bist wirklich unmöglich. Du weißt genau, dass ich das nicht meine! Ich habe Mist gebaut, keine Frage, aber du kannst nicht unsere ganze Ehe, unsere ganze Beziehung auf diesen einen Fehltritt reduzieren.«
»Ein Fehltritt? Waren es nicht vielmehr drei?«, sage ich hasserfüllt und giftig. Ich finde es unerträglich, dass dies das Letzte sein soll, was ich je zu ihm sagen werde.
»Amber …«
»Du wusstest, du wusstest, dass eine Affäre … dass eine Affäre das Schlimmste war, was mir je passieren konnte, aber dir war das egal, du hast es einfach getan!« Ich fühle mich plötzlich so verletzlich, so nackt in diesem nackten Raum. »Das ist es, was ich dir nicht verzeihen kann, nicht bloß diese Affäre an sich.«
»Es tut mir so leid«, sagt Dom. Er kommt auf mich zu und schließt mich in die Arme. »Aber, Süße, wir sind nicht wie deine Eltern.« Eine Minute lang gebe ich nach, lass mich, benebelt von der Zuneigung und der vertrauten Zärtlichkeit, von ihm halten. Zu gefährlich – ich reiße mich aus seiner Umarmung.
»Ich gehe. Ich muss gehen«, sage ich unter Tränen.
»Hör auf, Amber«, sagt er flehentlich und hält mich am Arm fest. Ich sehe ihm ins Gesicht und versuche nicht einmal mehr, meine Tränen zurückzuhalten.
»Triffst du dich noch immer mit ihr?«
»Natürlich nicht! Es war an dem Abend zu Ende, als ich es dir erzählt habe.«
Das X taucht wieder vor mir auf. X=Ex. Wer hätte gedacht, dass ich so gut bin in romantischer Algebra?
»Du siehst sie aber noch?«
»Nur, wenn sie ins Restaurant kommt.«
»Dann siehst du sie also noch.«
»Jetzt bist du aber unmöglich. Du weißt, dass ich dagegen machtlos bin.«
»Mach’s gut, Dom«, sage ich und öffne die Tür. »Und lass uns endlich reinen Tisch machen. Es ist höchste Zeit, dass wir den Papierkram erledigen und
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