Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
ich dulde nicht, dass Sie mein Geld einfach so für Fische zum Ladenpreis ausgeben. Was soll denn diese Spezialität überhaupt sein?«
»Krabbenpuffer.«
Oscar nimmt Mike schweigend ins Visier, was diesen noch kleiner werden lässt.
»Äh, Krabbenpuffer mit einer Zitronen-Kapern-Mayonnaise.«
Ich mache es Oscar nicht zum Vorwurf, dass er Mike genauso hasst wie der Rest von uns, bin aber doch leicht verwirrt. Normalerweise halten Küchenchef und Souschef zusammen wie Pech und Schwefel, Butch Cassidy und Sundance Kid, und folgen einander mit sklavischer Ergebenheit von Job zu Job. Doch dann fällt mir ein, wie bitter Oscars Trennung von Angus war. Und ich sage mir, dass seine rechte Hand so etwas wie ein Kollateralschaden gewesen sein muss.
Er schnaubt verächtlich. »Gott sei Dank habe ich mich daran erinnert, dass freie Tage was für Weicheier sind. Stecken Sie sie in den Gefrierschrank, dann werde ich mir nächste Woche was einfallen lassen. Und Sie«, sagt er, indem er sich umdreht und mich mit seinem Blick fixiert, »ziehen noch mal los und holen Jakobsmuscheln.«
»Jakobsmuscheln?«, sage ich und frage mich, was das wohl werden soll.
»Jakobsmuscheln, ein wenig scharf, mit einer cremigen Avocadosalsa, um sicherzugehen, dass sich keiner den Mund daran verbrennt.«
Dabei entfaltet er ein träges Lächeln, das etwas ziemlich Merkwürdiges in meinen Eingeweiden in Gang setzt (obwohl die Ursache dafür nicht eindeutig festzumachen ist, alldieweil ich direkt vor einem Haufen zwei Tage altem Fisch stehe).
»Ja, Chef!«, sage ich und befreie mich aus dieser Hilflosigkeit. Mike wirft mir einen düsteren Blick zu, als ich wieder losziehe, aber das ist mir in meiner Hochstimmung völlig egal, weil Oscar meinem Vorschlag für die Salsa in seinem Haus eine Chance gegeben hat. Die Schufterei macht mir nichts aus, solange ich nur die Gelegenheit habe, von einem Meister zu lernen. Einem fraglos launischen Meister, aber mir macht es auch nichts aus, angebrüllt zu werden, wenn ich nur bleiben darf. Wenn das Wochenende mir eins klargemacht hat, dann, dass ich das Teleskop falsch herum gehalten habe – meine Vergangenheit ist die fremde Galaxie, mein neues Leben ist der Planet Erde. Jetzt muss ich nur noch mein Gravitationszentrum finden.
Der Transport von Jakobsmuscheln erweist sich als wesentlich einfacher, sie sind so leicht und glitschig, dass ich die Tüten in fröhlichem Übermut schwingen kann. Dieser fröhliche Übermut verlässt mich jedoch auf der Stelle, als ich Lydias ansichtig werde, die im Moment meiner Rückkehr meinen Kochplatz ansteuert. Sie bemüht sich nicht mal, den Weg dorthin ganz zurückzulegen, sondern winkt mir einfach zu, in das schimmernde Utopia des Gastraums zu kommen. Sie mustert mich unverhohlen von oben bis unten, obwohl meine weiße Kochkleidung keinen Anlass zur Kritik gibt. Sie kommt schlank und elegant wie immer daher, trägt wieder ein figurbetontes Etuikleid, und auf dem perfekten Ausschnittdreieck ihrer Brüste hüpft ein tolles Messinghalsband. Sollte ich, wenn ich auf die vierzig zugehe, einen derart wohlgeformten Körper haben, würde ich mir eine Menge darauf einbilden, aber ich habe das Gefühl, dass es nichts gibt, was bei Lydia Freudensprünge auszulösen vermag. Ihr Mund ist immer zu einer missbilligenden Schnute verzogen, ein Ausdruck, der sich im Moment gegen mich richtet.
»Oscar meint, Sie seien das Mädchen, das über die Vorspeise des heutigen Abends Bescheid weiß.«
»Es ist eine … es ist eine in der Pfanne gebratene Jakobsmuschel, gewürzt mit Chili und Koriander, dazu eine mit Joghurt und Pfefferminze abgeschmeckte Avocadosalsa.« So jedenfalls stelle ich mir die Salsa vor, Oscar könnte andere Vorstellungen haben.
»Die ist mir neu«, sagt sie und sieht mich an, als hätte ich eingelegte Spinnen vorgeschlagen. »Sie werden Johnny eine Vorstellung davon geben müssen, wie er das formulieren soll.«
Worauf Oberkellner Johnny wie aus dem Nichts hinter der Bar auftaucht.
»Mal eine kurze Verschnaufpause machen? Was gibt’s zum Mittagessen?«
Er ist ein echter Schatz, ein rotgesichtiger Optimist, dessen größte Herausforderung im Leben vermutlich ein verstauchter Knöchel auf dem Rugbyfeld darstellt. Sein blondes Haar steht nach allen Seiten ab und rahmt seine offenen Gesichtszüge ein. Er strahlt Gesundheit und Vitalität aus, ein tief verwurzeltes Wohlbefinden, das auf den Privilegien von Generationen beruht. Es gehört zur Tradition, dass Gastraum und
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