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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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Bürgersteig. Wie oft hatte Walter Drake gegrübelt, ob sie jemals wieder vereint sein würden. Und nun hatte er erst im Motel Margo angetroffen, und als sie auf der Motelterrasse zu Mittag gegessen hatten, war plötzlich Terry aufgetaucht, völlig unerwartet, aus heiterem Himmel. Er hatte neben dem Tisch gestanden und auf seine schüchtern-hänselnde Art gefragt: »Bin ich willkommen?«
    Walter hatte ihn sofort erkannt, trotz des wallenden, dunklen Barts, und seine Betrachtungen zuvor im Taxi waren ihm wieder eingefallen: Wie kann man den eigenen Sohn, das eigene Fleisch und Blut abschreiben?
    »Ich bin von California per Anhalter gekommen«, hatte Terry während des Essens erklärt. Und auf die Frage seiner Mutter, was er jetzt treibe: »Ich krieche langsam aus der Scheiße.« Und als seine Mutter zusammengezuckt war, hatte er sich verbessert: »Versuche, einen klaren Kopf zu kriegen, Mutsch.«
    Mit Erfolg? Ja.
    Er hatte ein Jahr in einer Entziehungsanstalt verbracht und fühlte sich befreit.
    Sie kamen an einer Taverne vorbei, und Walter fragte, ob jemand einen Drink wolle. Terry meinte: »Ich nicht.« Und so gingen sie weiter.
    Susan hängte sich bei ihrem Sohn ein. »Ich muß dir etwas gestehen: Ich habe Angst vor Pferden. Und, verzeih mir, Walter, ich mag sie nicht einmal besonders.«
    Sie lachten alle, auch Walter. Er konnte sich nicht entsinnen, Susan in letzter Zeit so vergnügt erlebt zu haben.
    Trotzdem hoffte er, daß Prescription sich am Sonnabend wacker halten würde, aber … siegen? Wen kümmerte das?
    Ein paar Teenager kamen vorüber mit beschrifteten T-Shirts: ›Helft Behinderten!‹ stand da, und ›Sex hat keine Kalorien‹. Alle vier lächelten sich verständnisinnig zu. Wie sich die Zeiten ändern, und so schnell.
    Sie gingen in verschiedene Läden – schauten sich ein paar Sachen an, ohne etwas zu kaufen, nur um die Zeit totzuschlagen, gemeinsam.
    »Derbyfieber«, sagte Margo, »davon habe ich in der Zeitung gelesen. Sind wir alle angesteckt?«
    Und wieder draußen auf der Straße zitierte Susan einen Kinderreim: ›»Wir waren müde, wir hatten Glück, wir fuhren auf der Fähre hin und zurück …‹ von wem stammt das?«
    Und Walter dachte an vergangene Zeiten, als Susan immer irgendwelche Zitate bei der Hand gehabt hatte.
    »Keine Ahnung, süße Susi«, sagte er, und sie schaute ihm lächelnd in die Augen.
    Eine Schulkapelle marschierte mit Pauken und Trompeten vorbei, und die Majorettes wirbelten die Taktstöcke. Sie spielten einen fröhlichen Dixie.
    Und als sie vorbeigezogen war, entdeckte Walter jemand, den er hier nicht erwartet hatte. Was tat sie denn hier? Sie kam aus einem Laden, trug einen breitrandigen Strohhut, enge Jeans und einen knappen Sonnenbüstenhalter. Es mußte sie sein, Kimberley Cameron. An einem Eis schleckend, kam sie direkt auf sie zu.
    »Hallo«, begrüßte sie sie mit seitlich geneigtem Kopf, und die grünen Augen zeigten eine freundliche, etwas glasige Fröhlichkeit. »Ich kenne Sie.« Sie blieben einen Moment beieinander stehen. »Ihnen gehört Prescription. Ich habe Sie an der Rennbahn gesehen.«
    Susan stellte ihre Tochter vor und ihren Sohn Terry und freute sich, die Besitzerin des Favoriten zu treffen. »Möchten Sie … wir warten nur auf die Rückfahrt der Raddampfer … wollen Sie sich uns anschließen?«
    Aber das Mädchen schüttelte den Kopf, daß die blonden Haare flogen. »Nein, danke. Manchmal kann ich das Alleinsein nicht ausstehen, und manchmal brauche ich es. Verzeihen Sie mir?«
    Sie hätten dafür natürlich Verständnis, sagte Walter, und da wäre nichts zu entschuldigen.
    »Es hat mich gefreut, Sie zu sehen«, schloß Kimberley Cameron die Unterhaltung und schlenderte weiter dem Ufer zu.
    Terry schaute ihr nach. »Das verzeihe ich euch nie, daß ihr sie laufen laßt. So etwas hat mir der Arzt verschrieben.« Sie lachten, aber es war mit einem Bedauern. »Wenn es mehr solche Mädchen gäbe«, fuhr Terry fort, »dann gäbe es weniger Junggesellen. Junge, Junge.«
    Was wollte das Mädchen hier, fragte sich Walter Drake, wo doch sicher ihre Freunde auf den Dampfer oder bei irgendwelchen Partys tanzten. Und mit einem Seitenblick auf Terry überlegte er, ob der Junge, nein, der Mann sich wirklich zusammengerissen hatte. Was war denn schiefgegangen? Hatte er selbst zuviel investiert, um nie mehr arm zu sein, zuviel gearbeitet und zuwenig auf die Familie geachtet, und war das das Resultat? Er wußte nicht einmal jetzt, was eigentlich los war

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