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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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mehr oder weniger verschlafen. Doch nun war es Abend, und Paul Hautot war noch immer nicht zurückgekehrt. Sie hatte keine Ahnung, wo er stecken könnte. Und machte sich auch keine Gedanken. Sie nippte an einem Glas des Weins, über dessen Qualität sich Paul immer beklagte. Vielleicht machte sie das wach. Sie hatte zugegebenermaßen vergangene Nacht mehr Kokain zu sich genommen, als ratsam war, und das versetzte sie manchmal in so trübe Stimmung.
    Es hatte auch nicht zu ihrer guten Laune beigetragen, daß sie in der vergangenen Nacht immer wieder gehört hatte, daß eine Stute beim Kentucky Derby kaum eine Chance hatte, unter den ersten vier einzulaufen. Na, von ihr aus. Bonne Fête würde im irischen Sweepstakes starten und im King Georges VI. Ach, ihr reichte es schon, wenn sie erst wieder in Europa war. Und dann das Arc im Herbst – Paris. Wieder zu Hause, Maxims und die vertrauten kleinen Restaurants und Givenchy. Das war himmlisch.
    Sie hörte die äußere Tür aufgehen, und dann erschien Paul. War das Paul? Entsetzt konnte sie zuerst nicht aufstehen. »Paul, was haben sie mit dir gemacht?«
    Aber er antwortete nicht, starrte sie nur an. Er wirkte wie ein Mensch kurz vor dem Zusammenbruch.
    Sie eilte schließlich zu ihm hin, berührte ihn, aber er zuckte zurück, die großen Augen vor Schmerz verzogen, als sei ihm jede Bewegung zuviel. Sanft und mit zusammenhanglosen, gemurmelten Fragen bugsierte sie ihn ins Schlafzimmer, wo sie ihn behutsam – wobei er trotzdem noch ein paar Mal aufschrie – entkleidete. Sein Körper war von Kopf bis Fuß mit blutigen Striemen bedeckt.
    Da wußte sie Bescheid. Er war festgebunden und minutiös mit einem Ledergürtel geschlagen worden. So etwas mußte früher oder später geschehen. Hier wie in Europa ging er immer wieder in solche Bars, wo sich die Homosexuellen in Lederkleidung trafen. Ihr war vor Mitgefühl und Ekel ganz schlecht, aber auch von Liebe und Fürsorge. Sie hatte sich immer wieder gesagt, daß ihr Verhältnisse mit Männern bei ihm lieber waren als mit Frauen.
    Sie legte ihn aufs Bett und rief die Nachtapotheke im Hotel an, um sich Medikamente aufs Zimmer schicken zu lassen. Dann küßte sie seine blassen Lippen und ging anschließend ins Bad, wo sie sich heftig übergab. Diese brutalen Wilden – um so eine Demütigung zu erleben, waren sie nicht in die Vereinigten Staaten gekommen!
    Andrew hatte schon vor einiger Zeit gemerkt, daß er Treffen mit seiner Tochter mit wachsender Unlust entgegensah, mit einer jedes Mal aufs neue aufflackernden Angst vor den Szenen, die sich möglicherweise aus Kleinigkeiten entwickelten. Wie lang schon herrschte zwischen ihnen nicht mehr die gelöste und unkomplizierte Atmosphäre von einst, sondern diese gespannte Luft wie vor einem Vulkanausbruch? Und nun, da Clay Chalmers wieder in ihr Leben getreten war …
    Die Tür der Suite stand angelehnt. Er stieß sie auf und trat ein. Aus der Richtung des Schlafzimmers hörte er das Rauschen der Dusche. Er beschloß, sich auf einen Stuhl zu setzen und zu warten. Wenn sie sich nur angewöhnen könnte, die Außentür abzuschließen!
    Nachdem er sich darüber klar geworden war, was er von Kimberley verlangen wollte oder ihr nahelegen, denn auf Forderungen reagierte sie zunehmend mit hysterischen Ausbrüchen –, war ihm in seiner Haut noch weniger wohl. Ihre Liebe zu Starbright wuchs sich zu einer Besessenheit aus, und sein Verschwinden hatte auch nicht zu einer gelasseneren Haltung beigetragen.
    Das Rauschen der Dusche hörte auf, und einen Moment später huschte Kimberley nackt und triefend durch das Schlafzimmer. Sie konnte nicht ahnen, daß jemand im Wohnzimmer saß, aber da sie schon wieder die Tür offengelassen hatte.
    »Du hast Besuch, Tochter.«
    »Andrew. Einen Moment. Ich wußte es nicht.«
    »Mach nur langsam.«
    »Hattest du einen angenehmen Tag?«
    War er angenehm? Ja, mehr als das. Brigids lebhafte Augen, die unter seinem Blick dunkel wurden.
    Ich hätte allerdings Lust auf ein Glas Wein. In ungefähr einer Stunde.‹
    »Na, Andrew, war's schön?«
    »Ja, kann man wohl sagen. Und bei dir?«
    Sie kam in einem weißen Bademantel herein und rubbelte sich die Haare trocken. »Sehr schön. Ich war fast die ganze Zeit allein.« Sie setzte sich auf das Sofa, ließ die blonden Haare nach vorn hängen und trocknete sie, weit vorgebeugt, kräftig ab. »Ich habe mir das Dampferrennen von der Uferseite in Indiana angesehen. Man sieht viel mehr als von den Schiffen selbst aus.

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