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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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und wer an welcher Stelle versagt hatte.
    Da gesellte sich Margo zu ihm. »Ich bin auch noch da, Papa.« Was meinte sie damit? »Es ist unfair. Ich betrinke mich nie, ich fahre nie Wagen zu Schrott, ich nehme keine Drogen und ich schreie dich und Mama nicht an. Ich liebe Terry, er ist sonnig und lustig, und bei ihm fühlt man sich wohl, aber …« Und da fielen ihm seine Überlegungen der vergangenen Nachte wieder ein, daß Terry Aufmerksamkeit und Fürsorge von der Familie verlangt hatte, während Margo … »Seitdem er heute aufgetaucht ist, ist es, als sei ich wieder ein kleines Mädchen und als passiere alles wieder wie damals.« Sie hängte sich bei ihrem Vater ein. »Aber es macht mir nichts aus. Jetzt nicht mehr. Ich werde bald eine eigene Familie haben und …« Sie unterbrach sich und sagte: »Horch!«
    Da hörte er es auch, das unverkennbare asthmatische Jaulen einer Schiffspfeife in der Ferne.
    »Sie kommen zurück«, rief Margo und ergriff seine Hand.
    »Kommt zum Ufer, wir müssen doch sehen, wer gewinnt.«
    Er wollte schon nach Terry und seiner Frau rufen, überlegte es sich aber anders. Er nahm die Hand seiner Tochter fester und rannte mit ihr die Straße entlang auf den Fluss zu.
    Allmählich wurde es ein richtig großartiger Tag. Zwar waren ein paar kurze Schauer niedergeprasselt, aber nicht jetzt, als die ›Robert E. Lee‹ zwei Meilen abgeschlagen hinter den fast gleichauf liegenden ›Delta Queen‹ und der ›Belle of Louisville‹, auf der sie sich befand, dem Ziel unter gewaltiger Rauchentwicklung entgegeneilten.
    Brigid Tyrone saß mit einem breitrandigen, weißen Hut im Schatten des mittleren Decks und ließ diesen Tag noch einmal Revue passieren und dachte an die bevorstehende Nacht. Die Menschenmenge feuerte die Schiffe an, es war die Stimmung eines Volksfestes, die sie genoß, während sie Andrew betrachtete, der von der Reling aus den Menschen am Ufer zuwinkte.
    Den Mann konnte sie einfach nicht einordnen. Je enger und vertrauter sie sich ihm fühlte, desto rätselhafter erschien er ihr auch. Sein anfängliches reserviertes Verhalten hatte sie inzwischen als Abwehrmechanismus durchschaut – aber gegen wen oder was? Seine hervorragenden Manieren – von denen seine Tochter so wenig mitbekommen hatte, bei der immer alles in Aufruhr zu sein schien – machten es ihr leicht, sich nicht als Eindringling in sein Leben zu fühlen, und mit der Zeit hatte sie auch seine Wärme und sogar Leidenschaftlichkeit zu spüren bekommen. Was sie fast am meisten schätzte, waren sein Verständnis und sein Einfühlungsvermögen, beispielsweise, als er sie aus dem Krankenhaus zu diesem reizenden Picknick entführt hatte. Dazwischen im Mercedes kehrte wieder seine Reserviertheit zurück, als sei er verlegen. Dachte er dann an seine schwierige Tochter? Verwunderlich wäre es sicher nicht. Wir sind doch alle aus verschiedenen Charaktermerkmalen zusammengesetzt, dachte sie, und wirkliches Kennenlernen dauert eben seine Zeit.
    Die Dampfpfeife des Schiffs klang ihr fröhlich in den Ohren, und wenn die Menschen an der Reling sich bewegten, konnte sie erkennen, daß ihr Schiff sich langsam nach vorn schob. Das wäre fast schon aus den Anfeuerungsschreien der Passagiere zu erkennen gewesen. Das Schiff war voll besetzt, und trotzdem sah sie kaum jemand Bekannten. Die Hautots hatte sie beispielsweise nicht entdeckt, und auch nicht Mrs. Stoddard, die sie schätzte. Christine Rosser, die Andrew seit Jahren kannte, hatte sie in der Lounge begrüßt, und ihren Trainer, den breitschultrigen Mann im weißen Westernanzug, aber sie fuhren auf der ›Robert E. Lee‹, die nun weit hinter ihnen anscheinend den Geist aufgab.
    Sie mußte zugeben, daß sie an diesem Nachmittag keine erfreuliche Gesellschaft darstellte, dazu waren ihre Gedanken zu sehr bei Molly im Krankenhaus. Molly war ihr über Nacht fremd geworden. Still lag sie im Bett, den Blick abwesend an die Decke gerichtet, ausdruckslos. Auf Schwester Graces Vorschlag, einen Fernsehapparat ins Zimmer zu stellen, hatte sie mit einem tonlosen Nein reagiert.
    »Aber wenn du am Samstag noch hier liegst, wirst du doch das Derby sehen wollen?«
    »Nein, danke, Tante Brigid.«
    Und nach ihrem Bericht über Irish Thrall, der nach Mr. McGreeveys Worten das Futter verweigerte, nicht einmal Hafer nahm und sich wie ein verlassenes Kind verhielt, hatte Molly das Gesicht abgewendet.
    »Das ist mir gleich.«
    Aber … Gregory McGreevey hatte Befürchtungen, daß das Pferd in

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