Sekunde der Wahrheit
Erkältung wieder hergebracht.«
Die umgedrehte Logik konnte ihm nicht einleuchten. Die kranke Logik. Und sein Entsetzen wurde größer.
»Warum hast du ihm nicht gleich ein Vorderbein mit einem Baseballschläger zertrümmert, während er in deinen Händen war?«
»Kimberley, hör mir mal zu …«
Aber als er auf sie zutrat, kam sie ihm zuvor und stürzte sich mit klauenartig geballten Händen auf ihn, hämmerte ihm auf der Brust herum und im Gesicht.
Clay versetzte ihr eine Ohrfeige.
Sie blinzelte ihn an, und auf ihrer Wange war der Abdruck seiner Handfläche zu sehen. »Siehst du, du hasst mich auch.«
Sie drehte sich um, zog sich mit einer fließenden Bewegung das aprikosenfarbige Kleid über den Kopf und baute sich nackt vor ihm auf.
»Bitte. Willst du mich nicht?« Und dann wirbelte sie noch einmal herum und rief: »Ihr da draußen, will mich denn niemand?«
Er eilte zu ihr hin, war aber nicht schnell genug, denn sie wandte sich gegen ihn, fiel über ihn her und fuhr ihm mit den Nägeln kratzend durchs Gesicht. Er spürte den Schmerz, hielt sie aber mit einem festen Griff.
Plötzlich küßte sie ihn, umarmte ihn, aber sie wand sich noch immer in Zuckungen, und ihr Mund öffnete sich, und sie biss ihm in die Lippe. Er schmeckte Blut und spürte einen scharfen Schmerz, aber er hielt sie fest.
Und dann schüttelte er sie. Er packte sie bei den Schultern und schüttelte den zierlichen Körper, so daß er den Boden unter den Füßen verlor. Der Kopf flog wie bei einer Stoffpuppe hin und her, und schließlich hörte sie auf, sich gegen ihn zu wehren, und wurde in seinen Armen schlaff. Die Augen waren ihr zugefallen.
Er hielt sie fest in den Armen, weil er nicht wußte, ob sie noch bei Bewußtsein war, und er spürte ihr Herz klopfen und hörte ihre Atemzüge dicht am Ohr. Dann hob er sie zart auf und trug sie in das Schlafzimmer. Sanft ließ er sie auf das Bett gleiten, das von dem Zimmermädchen aufgedeckt worden war. Er zog die Decke über sie.
Ohne die Augen zu öffnen – schlief sie bereits? – rollte sie sich auf die Seite und zog die Knie an.
Er stopfte die Decke an den Nacken und schaute auf sie herab.
Sie sah wie ein schlafendes Kind aus. Friedlich. Aber zerbrechlich und verletzlich.
»Gute Nacht, Clay.«
Er war nicht sicher, die Worte gehört zu haben. Ein Flüstern, ohne daß sie die Lippen zu bewegen schien.
»Gute Nacht, mein Geliebter, mein einzig Geliebter …«
Er schwieg. Er drehte das Licht im Wohnzimmer nicht aus.
Im Aufzug fragte er sich, ob er sie wirklich allein lassen konnte.
Dann änderte er seinen Plan und drückte den Knopf für Andrew Camerons Stockwerk. Aber als er an der Tür läutete und verschiedentlich klopfte, bekam er keine Antwort. Sollte er warten? So viele Fragen schwirrten ihm im Kopf herum. Würde sie bis zum Morgen durchschlafen? Würde andernfalls seine Gegenwart sie eher beruhigen oder wieder zu neuer Wildheit entfachen? Er kannte sich nicht mehr aus. Ob er den Hotelarzt rufen sollte?
Da fiel ihm der Mann im dunklen Anzug ein. Also fuhr er nach unten, bis ins Foyer.
Der Mann saß auf einer Couch, von der aus er den Aufzug, die Treppe und den Eingang überwachen konnte. Im Foyer befanden sich ein paar Pagen und nur wenige Gäste.
Er baute sich direkt vor dem Mann auf, der älter war, als er auf der Straße und im Restaurant gewirkt hatte. Sein Anzug war zerknautscht, und seine blassen Augen blickten vorsichtig und wachsam.
»Für wen arbeiten Sie?«
Er nahm eine angesteckte Zigarre in die dicken Finger. »Sollte ich Sie kennen?« Seine Stimme klang mild und freundlich.
»Ich glaube, Sie wissen, wer ich bin. Und ich meine, daß wir beide auf der gleichen Seite stehen.«
Der Mann erhob sich. Er war größer und gewichtiger, als es den Anschein hatte.
»Das kommt darauf an. Auf wessen Seite stehen Sie, Mr. Chalmers?«
»Ich liebe Kimberley Cameron.«
»Sie sind ein Glückspilz. Ich heiße Peter Cowley. Wollen Sie meinen Ausweis sehen?«
»Ja.«
Der Mann griff in die Brusttasche, holte eine Brieftasche heraus und hielt sie Clay offen hin.
Er war Privatdetektiv.
»Mr. Cameron hat mich beauftragt, auf seine Tochter aufzupassen.«
»Warum tun Sie das dann nicht?«
»Ich habe gewartet, bis Sie gehen.«
»Ich gehe.«
»Dann fahre ich nach oben.«
»Gute Idee.«
»Ich habe mir gedacht, daß das Mädchen bei einem Mann, der die Sache mit dem wildgewordenen Dobermann so hingekriegt hat, in sicheren Händen ist. Gute Nacht, Mr.
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