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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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Schuldgefühle zu erwecken. Kein Gedanke daran – das war zu gefährlich.
    Plötzlich durchfuhr ihn eine wilde Freude, kochte in seinen Adern. Und die eiserne Klaue ließ seinen Magen los, etwas. Er schaltete das Funkgerät ein, nannte nochmals die Kennziffer der Maschine, Position und Flughöhe und erbat Landeinstruktionen. Seine Stimme klang gleichmäßig, kühl und beherrscht. Wenigstens in seinen Ohren. Selbstkontrolle: Darauf kam es jetzt an. Trotz des Hochgefühls, das ihn wie ein Ballon aufblähte …
    Glück. Es hatte ihn nicht verlassen.
    Wie sein Alter immer gesagt hatte: Glück hat man nicht, man macht es. Komisch, der alte Toby hatte es trotz seiner großen Reden nie beim Schopf gepackt. Armer Hund. Aber ein Sohn profitierte wenigstens davon. Owen. Vielleicht war der Alte einfach nicht kaltblütig und skrupellos genug. Sein Sohn aber hatte, was man brauchte.
    Nichts sollte ihn hindern. Nichts und niemand.
    Schon gar nicht der kleine Pipibruder, dem er eigentlich seine jetzige Lage verdankte, dem Bastard. Hätte er nicht im Februar im Rennkalender gelesen, daß Clayton Chalmers seinen Gaul namens Hotspur meldete, wäre ihm die Idee gar nicht gekommen, mit Fireaway am Derby teilzunehmen. Schönen Dank, kleiner Bruder.
    Owen Chalmers würde es seinem Vater schon zeigen und gleichzeitig auch dem kleinen Bruder.
    »Ich stimme Ihrem Trainer zu«, sagte Andrew Cameron in seinem gemächlichen, breiten Tonfall zu Brigid Tyrone. »Rennen sind eine raue und gefährliche Sache.«
    »Und nichts für Frauen?« So herausfordernd gegenüber einem Mann, den sie erst seit dem Vorabend kannte und der ihr Vater sein könnte – das sah Molly gar nicht ähnlich. Schwarze Haare wehten in ihr elfengleiches Gesicht. »Mr. McGreevey ist schon ein toller Trainer, aber zu vorsichtig. Wie du auch, Tante Brigid.« Dem Mädchen stieg wohl der Mint Julep in den Kopf. »Wenn du mir erlauben würdest, das Rennen zu reiten, brauchtest du nicht einen amerikanischen Jockey, der die Eigenarten von Irish Thrall überhaupt nicht kennt.«
    Statt zu antworten, ließ Brigid ihren Blick durch den großen Speisesaal schweifen, der mit seinem glänzenden Mahagonimobiliar und dunkelroten Lederpolstern eher einem Salon oder einem eleganten Pub glich. Molly als Jockey – der Gedanke beunruhigte sie. Wieder überfiel sie jene seltsame Vorahnung, die sie nicht abschütteln konnte, seit sie sich in Cork eingeschifft hatten. Irish Thrall war eingeflogen worden, aber seit jenem Schreckenstag auf dem Rollfeld von Shannon vor neun Jahren – leb wohl, Danny, mein Geliebter, mein Mann – weigerte sich Brigid, ein Flugzeug zu besteigen. Daniel hätte sie ausgelacht. Sie nippte an ihrem Glas und zog die Stola aus Kenmarespitzen enger um die Schultern. War es überhaupt klug gewesen, herzukommen und auf das Irische Sweepstake und das Epsom Derby zu verzichten? Was trieb sie? Ruhelosigkeit? Langeweile oder gar Einsamkeit?
    Da sah sie Andrew Cameron über etwas lächeln, das Molly in ihrer jugendlichen Begeisterung gesagt hatte. Zum ersten Mal veränderte sich das so reservierte Gesicht, die Augen wurden schmal, und feine Fältchen zeigten sich. Ein ansteckendes Lächeln, mit einem Anflug von Stärke und Nachdenklichkeit, der hinter seinen sonst so verbindlichen Manieren nicht zu erkennen war. Sie las in seinen Augen, daß auch er ihre Gefühle für Molly teilte. Nicht mehr die pflichtschuldige Gastfreundschaft, die sie Nora McGeehan aus Kilkenny verdankte. Wie hatte sie ihn doch gleich vorgestellt? ›Er ist ein alter Freund von mir und hat schlimme Zeiten hinter sich. Seine Frau ist bei einer Jagd schwer vom Pferd gestürzt und geht heute noch am Stock. Lebt irgendwo in Südfrankreich. Nach allem, was man so hört, ist sie ein trauriges, verbittertes Geschöpf, trinkt wie ein Ire und ist angeblich seit ihrem Krankenhausaufenthalt tablettensüchtig. Jedenfalls verschwendet sie anscheinend keinen Gedanken mehr an Mann und Tochter, die sie verlassen hat. Aber er ist ein echter Gentleman und sieht zudem noch blendend aus.‹
    Das stimmte. Mit seinem markanten Gesicht und den leicht grauen Schläfen war er ein auffallend schöner Mann. Unvermittelt wurde ihr bewußt, daß die Stola von ihren nackten Schultern gerutscht war und sie sie aus unerfindlichen Gründen nicht hochzog.
    Andrew Cameron erklärte Molly gerade einige Eigenheiten der einheimischen Küche. »Gestern abend«, fuhr er an beide gewandt fort, »saß am Nebentisch ein Texaner und bestellte ein

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