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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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»Dabei ist die Pace das Entscheidende.« Nach einem umständlichen Kauen auf der Pfeife fuhr er fort, als sei ihm der Gedanke gerade gekommen: »Warum können wir die Bürokratie nicht ein bißchen beschleunigen und für Molly eine Rennreiter-Lizenz ausstellen lassen. Dann könnte sie Thrall am Samstag reiten.«
    Das wirkte wie ein Schock, und Brigid verschlug es die Sprache. McGreevey wartete auf eine Antwort, und das Schweigen hielt an.
    »War' doch besser«, schmeichelte der Trainer, »als Thrall in die Hände eines dieser Cowboys zu geben, der das Tier zudem nicht kennt.«
    Da fand sie Worte, auch wenn sie ihr fremd in den Ohren klangen: »Unter gar keinen Umständen wird Molly Muldoon das Rennen reiten. Ist das klar, Mr. McGreevey? Ich mache Sie dafür verantwortlich.« Ihr war plötzlich eiskalt, und sie wandte sich von dem Mann und seinem betroffenen Gesicht ab. Am liebsten wäre sie geflohen. Sie stelzte blindlings an dem Ambulanzwagen vorbei, am Geländer der Rennbahn entlang.
    »Möchten Sie sich nicht hersetzen, Mrs. Tyrone?«
    Sie erkannte die Stimme, noch ehe sie sich umdrehte. Irgendwie war sie zu der kleineren Tribüne an der Gegengeraden gekommen, die auf englischen Rennplätzen Guinea stand genannt wird. Andrew Cameron saß inmitten der leeren Bänke in der dritten Reihe, und sie setzte sich zu ihm. Mit den Augen suchte sie Molly und Thrall auf der Strecke, während sie Andrew Cameron geschwätzig erklärte, woher der Ausdruck Guinea stand kam: Es war die Tribüne für Pferdepfleger und Personal, die vor zweihundert Jahren vier Guineas am Tag verdienten und von dort aus kostenlos die Morgenarbeit und die Rennen verfolgen konnten. Dann brach sie verlegen ab: »Das ist Ihnen sicher nichts Neues?«
    Sie blickte Andrew Cameron an. Der schaute durch sein Fernglas und lächelte. Es war gar nicht ihre Art, andere Leute mit Geplapper zu langweilen, und am liebsten wäre sie in den Erdboden versunken.
    Cameron setzte das Fernglas ab und wandte sich ihr zu. Es lag Wärme in seinen grauen Augen und Ernst in seinen Worten: »Ich habe mir gestern nacht überlegt, was bestimmt auch Ihrem Trainer klar ist, daß ein gewisses Risiko darin liegt, ein Rennpferd wie Ihres hier an den Start zu bringen und es dann einem einheimischen Jockey anzuvertrauen.«
    Da wurde sie ärgerlich. Mit vorgestrecktem Kinn erkundigte sie sich: »Mr. Cameron, haben Sie etwa mit Gregory McGreevey gesprochen?«
    Mit hochgezogenen Brauen erwiderte Andrew Cameron: »Tut mir leid, aber ich habe den Herrn nicht kennen gelernt.«
    »Dann mit Molly?«
    »Gestern abend; Sie waren dabei.« Ihre Reaktion schien ihn ehrlich zu wundern. »Ein bezauberndes Mädchen.«
    »Anscheinend hat sie nicht nur Sie bezaubert. Wollen Sie mich davon überzeugen, daß Molly im Derby reiten sollte?«
    Andrew Cameron überlegte, auf seinem zuverlässig wirkenden, scharfgeschnittenem Gesicht lag Ernst. »Ich habe ja gestern schon gesagt, daß ich mit Ihrem Trainer übereinstimme. Rennen sind eine raue und gefährliche Sache. Ich würde meine Tochter da nicht mitreiten lassen.«
    Tochter … Er hatte also die enge Bindung erraten. Vom Verwandtschaftsgrad her war Molly nur Daniels Nichte. In Wirklichkeit aber war sie Brigid wie eine Tochter ans Herz gewachsen. Ja. Und wenn Andrew Cameron so viel Fingerspitzengefühl entwickelte, was hatte er dann noch erraten?
    Sein Verhältnis zu Kimberley war auch seltsam. Aber sie wollte sich nicht in undurchsichtige und irgendwie bereits vorgezeichnete Beziehungen verwickeln lassen – sie war selbständig und allein, und so sollte es bleiben. Auf eigenen Beinen hatte sie es weit gebracht. Bis hierher. Und von ihrem Entschluß, unabhängig zu bleiben, wollte sie nicht abweichen.
    »Mrs. Tyrone«, sagte Andrew Cameron, nachdem Thrall vorbeigedonnert war, mit Molly in den Steigbügeln und den Kopf über den Ohren des Pferdes, »Sie hatten mir gestern angeboten, Brigid zu Ihnen zu sagen.« Sie schaute ihn nicht an, nahm aber das angebotene Fernglas und verfolgte den grauen Schatten in der Kurve. »Gestern abend hatten Sie auch den Eindruck, ich wäre lediglich Ihren Freunden gefällig.« Sie ließ den Feldstecher sinken, dachte kurz an Nora McGeehan in Kilkenny, der sie die Bekanntschaft verdankte. Sollte er vorhaben, das Offensichtliche abzustreiten und ihr Honig ums Maul zu schmieren, dann war für sie die Bekanntschaft beendet.
    »So war es auch.« Er lehnte sich zu ihr hinüber. »Aber jetzt ist der Höflichkeit Genüge getan. Ich

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