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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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Die Pferde bedeuteten ihr Leben, und Rennen waren aufregend, ließen sie zeitweilig ihre Einsamkeit vergessen.
    »Vor der Arbeit verwöhnt man Pferde nicht«, brummelte eine whiskyheisere, bekannte Stimme. Der gnomenhafte und magenkranke Gregory McGreevey war um das Pferd herumgekommen. Er trug wie immer einen Anzug mit Weste und einer braunen Wollkrawatte, eine goldene Uhr an einer langen Kette, den ausgefransten Tweedhut in den Nacken geschoben; seine zusammengekniffenen Augen blickten missbilligend und unzufrieden. Irish Thrall hatte den Zucker mit sanften Lippen genommen und schnaubte in Brigids Hand. Sie kraulte ihn an der Stirn.
    »Ist er nicht schon zu verweichlicht? Wenn Sie ihn weiter so verwöhnen, dann macht er demnächst vor dem Finish schlapp.«
    »Wie geht es ihm, Mr. McGreevey?« erkundigte sie sich. »Und guten Morgen übrigens.«
    »Ich überleg', ob ich ihm nicht am Samstag die Scheuklappen verpasse, die er so hasst. Sobald ein Gegner aufholt, meint er, er müsse ihm den Vortritt lassen und den neuesten Klatsch abhandeln.« Er beugte sich herab und hob Thralls rechtes Vorderbein, ohne die grüne Bandage zu entfernen. »Der Arzt meint, es war ein chronischer Schaden, aber der Schmied sagt nein. Die Leute mit ihrem grauenhaften Dialekt kann man sowieso kaum verstehen …«
    Unwillkürlich mußte Brigid lächeln. Gregory McGreevey bewirkte dies häufig. Er war von Anfang an gegen die Reise gewesen und versäumte keine Gelegenheit, alle Schwierigkeiten aufzubauschen und an allem herumzumeckern: das enge Oval der Bahn, das Sandgeläuf, und zu allem Überfluss wurde auch noch falsch herum gelaufen, kein Wunder, wenn die schon mit den Autos auf der falschen Seite fuhren. Wie sollte das bloß gut gehen!
    McGreevey reckte sich hoch und war noch immer um einen halben Kopf kleiner als Mrs. Tyrone. Mit einem Blick auf die Uhr fragte er: »Wo steckt Kevin? Nach dem Mädchen braucht man ja nicht zu fragen. Für sie ist Stall 27 der Anziehungspunkt geworden.«
    Brigid strich Thrall abwesend über den Hals. »Stall 27?«
    McGreevey sog geräuschvoll an seiner Pfeife. »Passiert doch bei jedem Meeting. Diesmal hat sie sich anscheinend ausgerechnet in einen dicken Ex-Jockey verguckt, einen Hilfstrainer mit der Beredsamkeit eines Staubsaugervertreters. Aus irgendwelchen Gründen steht das Pferd, ein temperamentvoller Rappe namens Hotspur, nicht hier im Stall, ist aber trotzdem fürs Derby eingetragen.«
    Brigid hörte mit einem Anflug von Sorge zu, amüsiert und zugleich befremdet. Doch dann sagte sie sich, daß Molly ja nicht ihre Tochter war und außerdem mit ihren zwanzig Jahren kein kleines Kind mehr.
    Da tauchte Molly an der Stallecke auf, gefolgt von Kevin, dem es offensichtlich die Petersilie verhagelt hatte. Molly trug einen Reitdreß, enge Breeches und einen noch engeren blauen Sweater, und Brigid konnte nicht mehr daran zweifeln: eine Frau, erblühend oder soeben erblüht.
    Molly machte einen verspielten Knicks und setzte dann die schwarze Sturzkappe auf das schwarze Haar, das sie zu zwei Zöpfen geflochten hatte. Sie trat auf den Hengst zu, streichelte ihn und redete zärtlich auf ihn ein, worauf Thrall den Kopf hob, leise wieherte und dann die Nüstern an der Wange des Mädchens rieb. Kevin verschränkte die Hände und half dem Mädchen in den Rennsattel, wobei er den Blick gesenkt hielt. Dann schwang er sich in den Western-Sattel eines träge dastehenden, scheckigen Ponys. Hoch auf dem Vollblüter saß Molly mit konzentrierter Zuversicht und leichter Hand wie immer, erhaben über die Kleinlichkeiten des Alltags. Eine schöne Reiterin.
    Sie folgten ihr zur Trainingsstrecke. »Wir haben einen Fehler gemacht, daß wir Tim Kantor nicht als Jockey mitgebracht haben«, brummelte der Trainer. »Diese Yankee-Reiter gefallen mir nicht, und sie können auch mit Thrall nicht so zivilisiert umgehen, wie er es gewohnt ist.«
    Brigid ging weiter. »Wenn Sie ihn unbedingt haben wollen, kann er ja herfliegen. Noch ist Zeit.«
    »Ein Jockey wie Tim Kantor ist inzwischen ausgebucht.«
    Sie kamen an einem verbissen wirkenden Jockey vorbei, der die Flanken eines Pferdes abspritzte und dann abrieb. Ein schlaksiger Stallbursche hielt die Halfterleine mit einer Hand und eine Zigarette in der anderen. Es roch nach Pferden und frischem Gras.
    Gregory McGreevey holte seine Uhr heraus und seufzte. »Die Trainer und Reiter hier haben anscheinend wenig Ahnung von der Pace. Für sie gilt nur die Stoppuhr.« Er knurrte missbilligend.

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