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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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und kontrolliert, aber man spürt den Vulkan unter der eisigen Oberfläche, der dann unvermittelt ausbricht, wenn die Startglocke ertönt und die Pferde aus den Startboxen schießen. Intensiver kann man einfach nichts erleben. Das ist der absolute Höhepunkt!
    Hier auf dem überdachten Sattelplatz mußte man sich anstrengen, die eigene Erregung nicht auf das Pferd zu übertragen. Jedes hat seine eigene Art, die Wartezeit zu überbrücken. Sakren, Nummer 6, wurde von seinem Pfleger im Führring herumgeführt. Manche Pferde sind neugierig, andere müssen beruhigt werden, jedes muß so behandelt werden, wie es ihm am besten bekommt.
    Hotspur stand neben Clay in seiner Box am Sattelplatz, die entsprechend seiner Startnummer die Ziffer 2 trug. Er war zierlicher und leichter als seine heutigen Rivalen beim Rennen. Sein Fell glänzte schwarz wie poliertes Ebenholz, und sein ganzer Körper strahlte Erwartung aus, obgleich er ganz still stand. Er spielte nicht einmal mit den Ohren. Selbst der Übermut nach der Morgenarbeit hatte sich gelegt, und er wirkte so beherrscht wie Clay. Er trug nur das Zaumzeug mit Nasenriemen und Scheuklappen sowie Bandagen und war bereits vom Prüfer identifiziert worden: ein Vergleich der innen in die Oberlippe tätowierten Nummer mit der auf den Registrationspapieren des Jockey Clubs. Und der Bahnarzt hatte ihn begutachtet und für gesund befunden. Die meisten Pferde hatten eingeflochtene Schweife, damit der Schlamm nicht die Haare verklebte, aber Clay stand auf dem Standpunkt, daß ein freifliegender Schweif die Nachfolger auf Distanz hielt.
    Auf dem Sattelplatz hinter den Tribünen drängten sich die Schaulustigen und Interessierten hinter der Absperrung, um noch einen Blick auf die Pferde zu werfen und vielleicht den Tip eines Trainers aufschnappen zu können. Auf der ovalen Grasfläche im Ring hatten sich die Eigentümer der Pferde, Trainer aus den Gestüten und Presseleute eingefunden, von denen einige fotografierten.
    Dann kam Farbe in das Bild: Am hinteren Ende betraten die Jockeys in den Rennfarben den Sattelplatz, nachdem sie mit den Sätteln eingewogen worden waren. Der sonst so freundliche Zach war knurrig wie immer vor einem Rennen und sagte aufgebracht zu Clay: »Hast du deinen Freund heute im Fernsehen gehört? Der Bastard tut doch so, als würde ich morgens, mittags und abends Dreck fressen. Mach ihm klar, daß ich von durchgebratenen Pferdeäpfeln lebe.«
    Zach Massing sah mit seinem wettergegerbten Gesicht älter aus als er mit seinen einundvierzig Jahren war. Er gehörte zu den Veteranen und hatte schon Hunderte von Siegern ins Ziel gebracht, aber im Derby war er noch nie gestartet. Vorsichtig entgegnete Clay: »Ich werde es ihm ausrichten.«
    Die Peitsche wurde ihm gereicht; er brauchte sie fast nie, aber es war Vorschrift, sie mitzuführen. Er rückte die Schutzbrille zurecht. Es hingen noch drei um seinen Hals wegen des Schlamms. Hotspur bekam den Sattel aufgelegt.
    »Ich warte noch auf ein paar Worte von meinem Trainer. Darauf lauern doch all die Glotzer da draußen.«
    Clay nickte. »Das Geläuf ist goldrichtig für Hotspur. Aber lass Dealer's Choice nicht vor dich. Er ist ein Furzer und betäubt euch mit seinem Gestank. Und wir wollen doch nicht, daß Hotspur auf der Zielgerade kotzt.«
    Zach rang sich nicht einmal ein Lächeln ab, aber er schüttelte den Kopf. »Die Leute merken das nicht, aber du bist schon ein verrückter Hund.« Er richtete sich auf. »Ist das alles?«
    »Du weißt, was zu tun ist.«
    »Klar. Gewinnen.«
    »Heute reicht mir der zweite.«
    »Mir nicht.«
    Zehn Minuten vor dem Start rief der Sattelplatz-Richter: »Aufsitzen.«
    Clay verschränkte die Hände und hob Zach in den Sattel.
    Zach zupfte erneut an der Brille herum. »Ist dieser Graf Wyatt schwul?«
    »Ich werde seine Frau fragen.«
    Zach stieß einen Fluch aus und setzte sich mit dem Pferd in Bewegung.
    Hier sind sie. Die Pferde kommen auf die Bahn.
    Alle bis auf Kimberley standen auf. Brigid gab Molly den Feldstecher und erhob sich auch. Beifall und Zurufe begrüßten jedes Pferd, am lautesten True Blue.
    Während die Pferde in der Parade vor den Tribünen vorbeischritten – ein prächtiges Bild, wie Brigid dachte, die aber doch den Aufgalopp vermißte –, nahm das Geschrei etwas ab. Aber aus der Nebenloge kamen um so fröhlichere Anfeuerungsrufe: »True Blue, zeigs ihnen!«
    Kimberleys Kommentar: »Wie eine Kuhherde.«
    Molly schaute ungewöhnlich still zu, wie Hotspur mit der Nummer 2

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