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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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von Uniformierten, und es herrschte ein Durcheinander, das nicht weit vom Chaos entfernt war. Es lag etwas Bedrohliches über der Szene.
    Ein Wachtposten am Eingang verlangte von Joseph die Papiere, was sonst nicht Usus war, denn Joseph und die dunkle Limousine waren ein vertrauter Anblick. Innerhalb des Stallgeländes war schwer durchkommen; kreuz und quer standen alle möglichen Fahrzeuge, wie die Besitzer sie in Eile verlassen hatten. Dicker Staub lag in der von Rauch geschwängerten Luft, lauter hektisches Stimmengewirr überall, Menschen eilten hin und her, die Pferde in den Boxen waren unruhig, wieherten, scharrten und traten donnernd an die Holzwände. Den Zutritt zur Derbystallung versperrten zwei Polizeiwagen mit Blaulicht. Eine Scheinwerferbatterie strahlte den Stall an und ließ die Rauchwolken noch bedrohlicher wirken.
    »Ich gehe zu Fuß weiter, Joseph.«
    Noch bevor ihr Joseph den Schlag öffnen konnte, stand Alex Crichton schon davor, ohne allerdings die Tür aufzumachen. Rachel drückte auf einen elektrischen Knopf, das Fenster senkte sich.
    »Lassen Sie mich aussteigen, Mr. Crichton.«
    »Wollen wir hier sprechen oder lieber drüben im Büro des Rennsekretariats?«
    Sie blieb vorgebeugt sitzen. »Ich kann Sie hören.«
    Sein von Natur aus hässliches Gesicht mit der Glatze füllte die Fensteröffnung und sah mitfühlend und betrübt aus. »Mrs. Stoddard, Ancient Mariner leidet noch an der Schockeinwirkung, aber er hat eine Beruhigungsspritze bekommen und sich hingelegt, Schmerzen dürfte er keine haben.« Crichton sprach, als lese er die Worte von einem Spickzettel ab. »Der Knochen der Hinterröhre steht durch das Fell heraus, aber Dr. Carpenter hat die Blutung gestillt und das Bein in Eis gepackt.«
    »Und?«
    »Mrs. Stoddard …«
    »Bitte, Crichton!«
    »Dr. Carpenter rät, Ancient Mariner einzuschläfern.«
    »Aber … die Medizin hat doch alles mögliche erfunden, so daß eine Operation wenigstens versucht werden sollte.«
    Crichton schüttelte den Kopf. »Es war schlimm, Mrs. Stoddard. Er muß nicht nur gegen die Seitenwände getreten haben, sondern auch mit seinem ganzen Körper dagegen gestürzt sein. Das Holz ist zersplittert. Bei dem Gewicht …«
    »Ist geröntgt worden?«
    »Ich kann ihn in die Ambulanz im Longmeadow-Stall bringen lassen. Das wird für ihn eine Strapaze.«
    Sie holte tief Luft. »Es ist also Ihre Meinung, daß nichts getan werden kann.« Es war keine Frage.
    »Ja, Mrs. Stoddard. So leid es mir tut.«
    Das bedurfte keiner Worte. Sie bekam keine Luft mehr, und ihr Herz dröhnte ihr in den Ohren. »Aber Ruffian konnten sie beinahe retten.«
    Wieder schüttelte er den Kopf. »Eben nur beinahe. Und Ancient Mariner hat das gleiche Temperament wie Ruffian.« Crichton zögerte und fügte dann hinzu: »Möchten Sie, daß er das alles durchmacht?«
    »Holen Sie … ein zweites ärztliches Gutachten ein.«
    »Das habe ich bereits, von Dr. Hartwell, einem der besten Chirurgen.«
    Sie fand keine Worte mehr und versuchte es auch nicht.
    »Es ist das Gnädigste, was man tun kann, Madame.« So redete er sie eigentlich nie an; aus seiner rauen Stimme sprachen echte Zuneigung und wirkliches Mitgefühl, die nicht nur dem Pferd, sondern auch ihr galten. Hatte er gespürt, was gerade dieses Pferd ihr bedeutet hatte? Merkte Crichton, der bei der Geburt des Fohlens dabei gewesen war, während zum fast gleichen Zeitpunkt ihr Mann verstarb, warum diese Entscheidung so unerträglich war?
    »Sie müssen dazu die Einwilligung geben.«
    Sie sagte nicht das erlösende Wort. Sie nickte nur, und sie weinte nicht einmal. Aber innerlich brach sie zusammen, und sie wußte, daß damit auch ihr Leben unwiderruflich vorbei war.
    Inzwischen hatte sich die Lage einigermaßen beruhigt, aber er wollte noch warten, bis alles vorbei war. Eigentlich scheute er sich nur, zurück ins Motel zu fahren. Hier dabeizusein und das ganze Drumherum, mit Fernsehkameras und Scheinwerferbatterien, Polizei und Feuerwehr zu erleben, das war schon ungeheuer aufregend gewesen.
    Die letzten Feuerwehrfahrzeuge und Polizeiwagen verließen den Schauplatz, als er zum Eingang hinausging und nach seinem wartenden Taxi suchte. Mit laufender Uhr, aber was soll's? Es passierte nicht jeden Tag im ereignislosen Leben eines Apothekers, daß er Zeuge von solchen Ereignissen wurde. Der Taxifahrer schenkte ihm ein mitleidiges Lächeln, als er ihn bat, zum Holiday Inn in der Bardstown Road zu fahren. »Da hab' ich Sie doch abgeholt,

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