Sekundentod: Kriminalroman (German Edition)
eine Sackgasse zu sein.«
»Weshalb?«
»Der Arzt ist leider kein Gynäkologe, sondern Allgemeinmediziner. Hat auch nie als Geburtshelfer oder Ähnliches gearbeitet. Er arbeitet im Krankenhaus. Wir haben seinen Dienstplan mit den Entführungen abgeglichen. Für mindestens drei der Fälle hat er ein wasserdichtes Alibi, weil er Dienst hatte.«
»Und wenn der andere die Frauen verschleppt und sie sich aufgeteilt haben?«
»Wäre eine Möglichkeit. Wir werden dessen Zeiten auch noch checken, aber ich glaube, wir sind auf dem Holzweg. Anhand deines Täterprofils dürfte der Mörder aus zerrütteten Verhältnissen stammen und vermutlich bei einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen sein. Die Brüder haben aber noch beide Elternteile, die auch heute noch verheiratet sind und ein erzkonservatives Dasein führen. Die Mutter ist Lehrerin, der Vater Banker.« Sosehr sich Harald Kunst auch um Ruhe bemühte, so deutlich war ein Zittern in seiner Stimme zu bemerken. Er wusste, dass er sich konzentrieren musste, seine Aufregung und Anspannung beiseiteschieben.
»Hm«, brummte Falko.
»Wäre es nicht ebenso möglich, dass die Frau dem Entführer einfach gesagt hat, dass sie einen Jungen erwartet? Ich meine, bevor er die Videokamera eingeschaltet hat.«
»Möglich wäre es.«
»Wir nehmen die beiden trotzdem noch mal genauer unter die Lupe. Nur, um auf Nummer sicher zu gehen.« Er atmete laut aus. »Wir müssen verdammt noch mal einfach weiterkommen. Kerstin Sommer ist noch am Leben. Doch mit jedem Augenblick schwinden ihre Chancen.«
»Ich weiß, Harald. Doch wir müssen ruhig bleiben. Was ist mit dem Elektriker?«
»Auch noch nichts Neues. Es ist zum Verrücktwerden.«
»Ruf mich an, wenn dir noch irgendetwas einfällt, wie wir auf den Kerl kommen können. Und wenn es noch so abwegig ist.«
Cornelsen konnte seinen Kollegen nur zu gut verstehen. Genau wie er, wollte er den oder die Täter schnellstmöglich fassen, um das Leben der Frauen zu retten. Doch Hektik und Ungeduld hatten sich in seiner Laufbahn stets als schlechte Berater erwiesen.
Es klopfte, und Rolf Kramer trat ein. »Hast du schon Zeit? Ich hätte da was, das ich gern im Team besprechen möchte.«
»Ja. Hol die anderen zusammen.«
»Geht klar.« Kramer schloss die Tür.
Cornelsen rieb sich die müden Augen, versuchte seine Atmung zu beruhigen. Er hatte einen Großteil der Unterlagen Rebecca Ganters durchgesehen, sogar ihre Kontoauszüge über den Zeitraum von einem Jahr überprüft, um auf einen möglichen Hinweis zu stoßen. Dafür, dass sie eine sehr erfolgreiche und vermögende Frau war, lebte sie überaus bescheiden und zurückgezogen. Die laufenden Abbuchungen beschränkten sich auf die Energieversorgungsunternehmen, Versicherungen, Grundsteuern und gelegentliche Kartenzahlungen in Einkaufsmärkten. Der einzige Luxus, den sie sich allem Anschein nach gegönnt hatte, war eine in regelmäßigen Abständen erfolgte Abbuchung einer Schokoladen-Confiserie. Nur einmal entdeckte er die Buchung eines Bekleidungsversandhandels. Das war’s. Er griff nach dem Foto, auf dem die sichergestellte Uhr des Mordopfers abgebildet war, und strich vorsichtig mit dem Finger darüber, als berührte er das Armband selbst. »Die hast du ihr geschenkt, nicht wahr?«, sprach Falko leise vor sich hin. »Du hast ihr dieses kostbare Geschenk gemacht.« Er fuhr die Linien des Ziffernblattes entlang. »Sag mir, wo du steckst. Wo hast du die Frauen hingebracht?« Falkos Haut kribbelte, die Nackenhaare stellten sich auf. Der Täter hatte diese Uhr in seinen Händen gehalten, sie wahrscheinlich verpackt und Rebecca Ganter geschenkt. »Komm schon«, murmelte Falko, als erwartete er, durch das Foto einen Hinweis zu erhalten, wo sich der Täter befand. Er fühlte sich wie gerädert, warf noch einen letzten Blick auf das Foto und legte es wieder zu den Unterlagen zurück. Er dachte an seinen Kollegen Kunst, sah kurz das Gesicht Torsten Sommers vor sich, der verzweifelt auf eine Nachricht wartete, ob seine Frau noch am Leben war. Ärgerlich schlug Falko mit der Hand auf den Tisch. Da musste es doch etwas geben, wo sie ansetzen konnten.
Als alle im Konferenzraum am Tisch saßen, ergriff Rolf Kramer das Wort. »Ich habe einen Hinweis von einer Bekannten aus Bremen bekommen, Carola Tetzke. Sie hat dort jahrelang beim Jugendamt gearbeitet. Falko, du kennst sie auch. Kannst du dich noch an den Fall von Verwahrlosung vor ein paar Jahren erinnern, wo der Junge ausgerissen ist und sich
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