Sekundentod: Kriminalroman (German Edition)
Jugendheim?«, fragte Sarah ungläubig.
»Na klar«, antwortete Rolf. »Die Dinger werden privat geführt und lassen sich die Pflege der Kinder gut von Vater Staat bezahlen. Und wenn es dann doch nicht reicht, gehen sie in die Insolvenz und ziehen mit ihrem Zirkus in den nächsten Ort. So einfach ist das.«
»Und die Pfleger, die sie vergewaltigt haben? Wurden die verurteilt?«, fragte Falko.
»Das wusste Frau Tetzke ebenfalls nicht. Aber das finde ich auch so raus.«
Rolf sah in die stummen Gesichter seiner Kollegen und blätterte auf die letzte Seite seiner Notizen.
»Als Rebecca aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war sie gerade achtzehn Jahre alt geworden.«
»Und damit aus dem Zugriff des Jugendamtes heraus?«, fragte Timo.
»Nicht zwangsläufig. Wenn sie gewollt hätte, wäre ihr auch weiterhin geholfen worden. Doch sie lehnte ab. Was sie dann gemacht hat, ist unklar. Carola Tetzke hat nie wieder etwas von Rebecca gesehen oder gehört. Und sie hat auch von dem Mord an ihr nur durch Zufall erfahren, nämlich als sie ein Foto von ihr in der Zeitung gesehen hatte. Zwar fiel ihr der geänderte Nachname auf, aber sie dachte einfach nur, dass Rebecca sich als Schriftstellerin ein Pseudonym zugelegt oder womöglich geheiratet hätte.«
»Ein erstaunlicher Werdegang bei der Vorgeschichte«, meinte Sarah.
»Und auf eine widerwärtige Weise eine gute Grundlage für ihre Bücher.« Timo atmete geräuschvoll aus.
»Damit kennen wir jetzt zumindest einen Teil ihrer Rachemotive.« Cornelsen blickte seine Kollegen an.
»Glaubst du, der Junge, der sie geschwängert hat, ist unser Mörder?« Sarah spielte nervös mit ihrem Bleistift herum.
»Möglich, wenn sie sich wiedergetroffen haben. Oder aber Rebecca hat jemand anderen gefunden, den sie zu den Taten angestachelt hat.«
»Thronoi«, sagte Timo. »Ihren ganz persönlichen Racheengel.«
»Wir müssen diesen Jungen finden. Er war zwei oder drei Jahre jünger als Rebecca. Das ist doch schon mal ein Anfang.« Cornelsen sah Kramer an. »Rolf, wirklich gute Arbeit. Bleibst du bitte an der Identität des Jungen dran? Mir ist egal, ob sie dir damit kommen wollen, dass Jugendliche des besonderen Schutzes bedürfen und wir deshalb keinen Einblick in die alten Akten bekommen. Wir besorgen eine gerichtliche Anordnung für was auch immer, Hauptsache, wir kriegen den Namen.«
»Ich mach mich gleich dran.«
»Und wir werden …« Falko wurde unterbrochen, als es klopfte und ein junger Kollege den Raum betrat. »Er sendet wieder«, sagte er nur, und alle sprangen auf.
»Ihr müsst euch das angucken, ich aber nicht«, sagte Rolf. »Ich bin froh, dass ich mich ans Telefon hängen kann und von diesem Wahnsinn verschont bleibe.«
Das Bild, das sich Falko und seinem Team bot, war dieses Mal ein völlig anderes. Zwei hochschwangere Frauen saßen vor der Videokamera, beide angezogen. Es waren Kerstin Sommer und die Unbekannte, deren Identität sie noch immer nicht ermittelt hatten. Während Kerstin Sommer zwar ausgemergelt und entkräftet wirkte, war der Zustand der anderen wesentlich schlimmer. Eine ihrer Augenbrauen war wohl aufgeplatzt gewesen und nun mit einer dunkelroten Blutkruste überzogen. Ihr Gesicht war geschwollen und grün und blau geschlagen. Die Bluse, die sie trug, ließ an der freien Stelle am Hals schwere Würgemale erkennen. Zu hören war nur die Stimme des Entführers, der, den Blicken der Frauen nach zu urteilen, hinter der Kamera stand.
»Sieh mal, Becci. Ich habe hier zwei Mütter für dich. Eine war schon böse und wurde bestraft, die andere war gut. Aber war sie das wirklich? Was meinst du, Rebecca? Wir wollen doch nicht riskieren, auf einen Schwindel hereinzufallen. Ihre Kinder werden bald auf die Welt kommen. Wir müssen Entscheidungen treffen.« Er kicherte.
»Na los. Sagt meiner Süßen, wer von euch die bessere Mutter ist. Nur die beste darf leben, nur die allerbeste.« Die Stimme klang belehrend, aber nicht unfreundlich. Er lachte abermals. »Stellt euch einfach vor, dies wäre ein Bewerbungsgespräch. Ihr wollt die Stelle unbedingt haben. Na, wer will anfangen?«
Angst und Verzweiflung spiegelte sich in den Augen der Frauen wider.
»Ich werde eine gute Mutter sein, ich verspreche es«, sagte die Linke von ihnen kraftlos. Eine Träne löste sich aus ihrem Auge und rollte die Wange herab.
»Es reicht nicht, nur eine gute Mutter zu sein.« Er hörte sich immer noch freundlich an. Doch Falko erkannte, dass bereits ein gefährlicher Unterton
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