Sekundentod: Kriminalroman (German Edition)
Boden fallen lassen? Das würde die Verteilung erklären. Und Rebecca Ganter? Es sah nicht so aus, als hätte sie versucht, ihm die Papiere zu entreißen. Das hätte ein anderes Bild ergeben. Wie also hatte sie sich verhalten? Und warum war sie nicht geflohen? Cornelsen drehte sich um, blickte auf den umgestürzten Stuhl, an dem die Leiche fixiert worden war. Ja, das war es. Sie war nicht davongelaufen, weil sie zu diesem Zeitpunkt bereits gefesselt gewesen war. Wusste sie, was der Täter ihr antun wollte? Warum die Schläge? Genoss er es, oder wollte er Informationen von ihr? Falko sah sich um. Was könnte der Täter von ihr gewollt haben? Vermutete er irgendwo einen Safe, Wertgegenstände? Cornelsen schüttelte den Kopf. Nein, sie war keine Frau, die viel Geld im Haus verstecken würde. Nichts deutete darauf hin, dass sie überhaupt vermögend war. Die Handtasche lag ausgeschüttet auf dem Bett im Schlafzimmer. Bisher hatte niemand die Kreditkarten benutzt, sonst hätte sich die Bank sofort gemeldet. Was also wollte der Täter von Rebecca Ganter? Was? Zu viele Fragen. Die Konzentration schwand. Cornelsen schloss die Augen. Atmung. Einhundertzweiundneunzig. Tief sog er die Luft ein, lauschte auf das Geräusch beim Ausatmen. Einhunderteinundneunzig. Einhundertneunzig. Er öffnete die Augen, sah Rebecca Ganter vor sich. Sie saß aufrecht vor dem Schreibtisch und war an den Stuhl gefesselt. Ihr ängstlicher Blick war auf den Täter gerichtet, der wütend die Manuskriptseiten durchblätterte. Suchte er nach einer bestimmten Passage? Cornelsens Puls beschleunigte sich, er glaubte, der Lösung näherzukommen. Brauchte der Täter wirklich das Manuskript, um seine blutige Tat auszuführen? Oder hatte er ein anderes Motiv? Ein Gedanke bahnte sich seinen Weg an die Oberfläche. Sofort zog Falko sein Handy hervor und wählte Sarahs Nummer im Präsidium. Ein Blick auf ihr Display musste ihr verraten haben, wer sie zu erreichen versuchte.
»Hallo, Falko. Na, was gibt’s?«
»Sarah, prüf bitte mal nach, in welchen Abständen die Bücher der Ganter erschienen sind.«
»Das kann ich dir sofort sagen. Vor zweieinhalb Jahren ist das erste Buch erschienen, im Juni letzten Jahres das zweite. Na ja, und das aktuelle weißt du ja. Wieso?«
»Was ist, wenn der Täter nicht mehr warten wollte und das neue Manuskript quasi brauchte, um einen weiteren Mord zu begehen?«
»Das passt nicht zu dem, weshalb ich dich gleich anrufen wollte.«
Cornelsen stockte.
»Hier hat sich gerade wieder ein Kollege aus Düsseldorf gemeldet. Sein Computer hat offenbar Alarm geschlagen, nachdem wir den Fall Ganter und die Todesursache eingegeben haben.«
Falko sagte nichts, wartete, bis Sarah ihm Weiteres erklärte.
»Rebecca Ganter ist nicht die Erste, die auf diese Weise gestorben ist. Sie haben dort vor über einem Monat eine Leiche gefunden. Tod durch Ersticken, weil der Mund und die Nasen, verschlossen worden waren.«
»Ich komme sofort ins Präsidium zurück«, kündigte Falko an, drückte die rote Taste an seinem Handy und ging zur Tür. Ein letzter Blick in den Raum, in dem plötzlich wieder eine ganz andere Atmosphäre herrschte. Er war wieder in der Realität angekommen. Rebecca Ganter war für ihn nicht mehr zu erkennen, ebenso wenig wie ihr Mörder. Falko drehte sich um und verließ mit eiligen Schritten das Haus, versiegelte es wieder, stieg in seinen Wagen und startete den Motor. Seine Gedanken kreisten. Eine Frau, wahrscheinlich auf die gleiche Weise getötet. War es derselbe Täter? Wenn ja, dann musste er das Manuskript also bereits gekannt haben, als er die Schriftstellerin überfiel? Oder war es doch Zufall, dass die Frau auf die gleiche Art getötet wurde, wie es Rebecca Ganter in ihrem letzten Roman beschrieben hatte? Der Geruch seiner Kleidung stieg ihm in die Nase. Er griff zum Handschuhfach hinüber und holte eine Spraydose heraus – die Aufschrift versprach, dass damit Gerüche neutralisiert werden konnten. Er verteilte das Spray großzügig auf seiner Kleidung, hatte jedoch wenig Hoffnung, den Gestank damit tatsächlich zu vertreiben.
Als er den Parkplatz des Präsidiums erreichte und den Motor abgestellt hatte, zog er das Fläschchen mit dem Herrenduft hervor, verteilte ihn zwischen seinen Händen und fuhr sich mehrmals über sein Gesicht.
Alle waren bereits versammelt, als er sein Büro betrat. Drei Menschen, für die er seine rechte Hand ins Feuer gelegt hätte. Nicht, dass er nicht von Zeit zu Zeit gespürt
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