Sekundentod: Kriminalroman (German Edition)
ertappt hatte, als er Kopien von Tatortfotos machte. Sie hatte sich gewundert, doch es stand ihr nicht zu, sein Vorgehen infrage zu stellen. Abgesehen davon hielt sie ihn für einen außergewöhnlichen Ermittler, und wenn er sich die Fotos unters Kopfkissen legte, um einen Fall zu lösen, war ihr das am Ende auch egal.
Der restliche Kaffee war in die Kanne gelaufen. Cornelsen nahm zwei Tassen, befüllte sie und gab eine davon an Sarah. »Du trinkst doch auch schwarz, oder?«
Sie lächelte ihn an. »Ja, und das schon immer. Ob du dir das je merken wirst?«
Er ging nicht darauf ein und trat an ihr vorbei auf den Flur, um den Weg zu seinem Büro einzuschlagen. Falko spürte, dass Sarah ihm nachsah. Womöglich irrte er sich, doch meinte er, in den letzten Wochen eine Veränderung an ihr festgestellt zu haben. Ihre Kleidung war am Anfang praktisch und nun ein wenig weiblicher geworden. Zwar trug sie noch immer ausschließlich Hosen zum Dienst, doch das erschien ihm auch sinnvoller, da man nie wissen konnte, was einen im Außeneinsatz erwartete. Und in Rock und High Heels einen Flüchtigen zu verfolgen, konnte auch er sich nur schwer vorstellen. Doch im Gegensatz zu früher trug sie jetzt häufiger Blusen und engere Shirts, die mehr als nur ahnen ließen, dass er es hier mit einer attraktiven jungen Frau zu tun hatte. Auch ihre halblangen Haare trug sie nicht, wie früher, zu einem schlichten Pferdeschwanz gebunden, sondern oftmals locker gesteckt oder auch ganz offen. Womöglich war ein neuer Mann in ihrem Leben der Grund für ihre Veränderung. Cornelsen öffnete die Tür zu seinem Büro. Schon wieder ertappte er sich dabei, nicht nur Verbrecher, sondern auch die Menschen um sich herum zu analysieren. Er nahm sich vor, auch dieses Verhalten unbedingt zu ändern. Er schnappte sich den Satz Kopien und ging los.
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Montag, 5 . August, 10 . 05 Uhr
Er zerschnitt abermals das Polizeisiegel und ließ die Tür offen stehen, als er das kleine Haus betrat. Der Verwesungsgeruch hatte sich über jeden Millimeter Fläche gelegt, und es schien ihm, als hätte sich dieser seit seinem letzten Besuch noch verstärkt. Sofort hatte er das Gefühl, dass seine Kleidung, seine Haare, einfach alles an ihm den Gestank aufsog und er selbst einen unerträglichen Körpergeruch annahm. In diesen Augenblicken wünschte er sich immer, eine Zigarette rauchen zu können. Dabei hatte er noch nie geraucht, verabscheute es sogar, wenn andere es taten. Doch an solchen Orten meinte er, dass der Qualm zumindest einen Teil des ekelhaften Geruchs überdecken konnte. Er nahm sich ein Pfefferminz aus der Tasche und lutschte es. Wenigstens der Geschmack in seinem Mund veränderte sich. Langsam ging Cornelsen den Flur entlang bis zum Wohnzimmer. Ein paar Schritte vorher stoppte er, schloss seine Augen, atmete tief ein und aus. Zweihundert. Konzentration. Er spürte seinen Körper, atmete, einhundertneunundneunzig. Mit geschlossenen Augen ging er einen Schritt nach vorn. Er entspannte seine Schultern, spürte die Energie, die seinen Körper durchströmte. Einhundertachtundneunzig. Wieder ein Schritt. Einhundertsiebenundneunzig. Er streckte die Hände aus, um nicht gegen den Rahmen zu stoßen, den er gleich erreicht haben müsste. Einhundertsechsundneunzig. Tiefe Atmung, ein weiterer Schritt. Einhundertfünfundneunzig. Seine Hand stieß an den Türrahmen. Seine ganze Konzentration richtete sich auf den Täter. Langsam öffnete er die Augen, stellte sich vor, im Körper des Täters zu stecken. Der Stuhl war umgestoßen. In Gedanken stellte er ihn auf, malte sich aus, Rebecca Ganter darauf sitzen zu sehen. Einhundertvierundneunzig. Sie drehte sich um, riss die Augen auf, sprang hoch. Sie war wütend, deutete auf die Tür. Machte ein paar Schritte, der Täter ebenfalls. Er packte die Arme der Autorin, zog sie zum Schreibtischstuhl hinüber. Warum hatte sie ihn nicht früher gehört? Die Dielen auf dem Flur hätten ihn verraten müssen. Einhundertdreiundneunzig. Cornelsen bemühte sich um Konzentration. Atmung. Einhundertzweiundneunzig. Sein Blick fiel auf einen Stapel Manuskriptseiten, die sich auf dem Schreibtisch befanden. Er sah auf die Seitenzahl. Seite einhundertdreiundsechzig. Waren sie im Kampf vom Tisch gefegt worden? Er sah auf die am Boden liegenden Papierhaufen. Mehrere kleine, ein großer, in weiterem Abstand verstreut, die letzten Blätter waren auf dem Holzfußboden bis unter die Couch gerutscht. Hatte der Täter darin gelesen und sie dann zu
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