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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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zurück nach Mannheim und stiegen beim Flugplatz Neuostheim aus. Der kleine Tower, das kleine Büro, das kleine Rollfeld und die kleinen Flugzeuge – Manu kannte es vom Flug von Rio de Janeiro nach Frankfurt größer, war aber begeistert. Ich meldete einen halbstündigen Flug an. Der Hobbypilot, der uns fliegen sollte, wurde angerufen und machte einen Hüpfer mit einem Propeller und vier Sitzen startklar. Wir knatterten über die Rollbahn und hoben ab.
    Wie eine Spielzeugstadt lag Mannheim unter uns, ordentlich, adrett. So müßte der Kurfürst, der die Quadrate hat anlegen lassen, seine Stadt einmal sehen können. Rhein und Neckar glitzerten in der Sonne, die Schlote der Rheinischen Chemiewerke pusteten weiße Wölkchen in den Himmel, und in den Becken beim Wasserturm tanzten die Fontänen. Auf Anhieb erkannte Manu den Luisenpark, die Kurpfalzbrücke und das Collini-Center, in dem Brigitte ihre Massagepraxis hat. Der freundliche Pilot drehte eine Extra-Schleife, bis Manu auch sein Haus in der Max-Josef-Straße fand.
    »Jetzt machen Sie bitte noch einen Schlenker nach Viernheim rüber.«
    »Sind Sie von dort?«
    »Ich war mal von dort.«
    Das interessierte Brigitte. »Wann hast du in Viernheim gelebt? Das wußte ich noch gar nicht.«
    »Nach dem Krieg, nicht lange.«
    Unter uns standen die Blocks vom Benjamin-Franklin-Village Spalier. Golfplatz, Autobahnkreuz, Rhein-Neckar-Zentrum, die engen, krummen Straßen um Rathaus und Kirchen – schon waren wir über den letzten Häusern Viernheims, und der Pilot schwenkte nach rechts.
    Ich zeigte nach links. »Ich würde lieber über den Wald zurück als über Heddesheim.«
    »Dann muß ich viel höher fliegen.«
    »Warum?«
    Er flog auf Weinheim zu und stieg. »Die Amerikaner. Die haben im Wald ein Lager. Mit photographieren ist hier auch nichts.«
    »Und wenn wir tiefer fliegen, schießen sie uns ab?«
    »Keine Ahnung. Was wollen Sie denn sehen?«
    »Ehrlich gesagt – gerade das Lager würde mich interessieren. 1945 gab’s hier eines für Gefangene und Internierte, und so habe ich mit dem Wald Bekanntschaft gemacht.«
    »Den alten Zeiten auf der Spur? Dann probieren wir’s mal.« Er machte eine Kurve, stieg nicht weiter und flog schneller.
    Ich konnte zwar den Zaun nicht erkennen. Aber ich sah die grasüberwachsenen Bunker, manche auf freiem Feld und andere zwischen Bäumen versteckt, sah die verbindenden asphaltierten Wege und die Lichtungen, auf denen Lastwagen oder Container im Tarnanstrich dicht an dicht standen. Eine weite Fläche war fast ohne Vegetation und von Wagen- oder Panzerspuren durchwühlt.
    Dann, nicht weit von der Autobahn, waren Bagger, Transportbänder und Lastwagen am Werk. Auf einer Fläche von der Größe eines Tennisfelds war Erde abgetragen. Ich konnte nicht erkennen, wie tief man gegraben hatte, und auch nicht, ob etwas ein- oder ausgegraben wurde. Ringsum war Wald, Bäume in hellem und dunklem Grün. Am einen Ende des Tennisfelds standen schwarze, verkohlte Baumskelette. Hier hatte es gebrannt.

9
Olle Kamellen
    »Du warst nicht wirklich bei Viernheim im Lager, oder? Als du mir mal von deinem Leben erzählt hast, hast du davon nichts erwähnt.« Brigitte fragte mich, als Manu im Bett lag und wir wie ein altes Ehepaar vor dem Fernseher auf dem Sofa saßen.
    »Nein. Es geht um meinen Fall.«
    »Wenn du was aus Viernheim wissen willst – ich hab eine Freundin dort, eine Kollegin. Und du weißt, daß wir Masseurinnen alles erfahren, wie die Friseurinnen und die Pfarrer.«
    »Das klingt gut. Kannst du ein Treffen arrangieren?«
    »Wenn du mich nicht hättest.« Brigitte stand auf und rief Lisa an und verabredete einen gemeinsamen Sonntagskaffee. »Sie lebt auch alleine mit Kind, und Sonja ist in Manus Alter. Wir wollten die beiden schon lange einmal zusammenbringen, und Lisa ist auch schon lange neugierig, was für einen ich mir …«
    »… geangelt habe.«
    »Das hast du gesagt.« Brigitte setzte sich wieder zu mir. Im Film liebte ein alter Mann eine junge Frau. Sie liebte ihn auch, aber sie entsagten einander, weil er alt und sie jung war. »So ein dummer Film. Aber es war ein schöner Tag heute, nicht?« Sie sah mich an.
    Zuerst fürchtete ich, ein klares Ja würde wieder die Heirats- und Kinderfrage heraufbeschwören, und wollte unverbindlich brummen. Sag nie ja oder nein, wenn der andere sich schon mit mhm zufriedengeben muß. Aber dann sagte ich doch ja, und Brigitte kuschelte sich wortlos und zufrieden in meine Armbeuge.
    Am nächsten

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