Selbs Betrug
Luft raus war.«
»Kannten Sie ihn persönlich?«
»Ich war damals nicht politisch. Er war im SDS , und manchmal hab ich mich bei denen umgetan wie bei den anderen auch. Ich war sozusagen Zaungast. Kennengelernt hab ich Lemke nicht da, sondern im Kino. Erinnern Sie sich? 1967/1968 war die Zeit des Italowestern. Jede Woche kam ein neuer in die Kinos, ein Leone, ein Corbucci, ein Colizzi und wie sie alle hießen. Eine Zeitlang hatten auch die Amis begriffen, daß das der neue Stil des Western ist, und ein paar schöne Arbeiten präsentiert. Damals kamen die Filme nicht donnerstags, sondern freitags in die Kinos, und jeden Freitag um 14 Uhr saß er mit ein paar Freunden vom SDS im ›Lux‹ oder in der Harmonie in der ersten Reihe, zur ersten Vorführung des neuen Western. Und weil ich auch nicht bis zur zweiten Vorführung warten konnte und das Kino außer uns leer war, kamen wir irgendwann ins Gespräch. Nicht über Politik, über Filme. Sie kennen ›Casablanca‹? Die Szene, wo die deutschen Offiziere die Wacht am Rhein und die Franzosen die Marseillaise singen und beides so harmonisch zusammenklingt? So wollte er’s mit ›Sieg Heil, Lemke‹ und ›Ho, Ho, Ho Chi Minh‹ hinkriegen, sagte er mal, und das war das politischste Gespräch, das wir hatten. Wissen Sie, ich hab ihn damals gemocht.«
»Später nicht mehr?«
»Nachdem der SDS verboten wurde, hat er beim KBW mitgemacht, einer Kaderpartei mit Zentralkomitee und Generalsekretär und dem ganzen Quatsch. Er war zuerst Kandidat, dann Mitglied im ZK und residierte in einem Hochhaus in Frankfurt, redigierte einen Parteiinformationsdienst und fuhr mit einem schwarzen Saab durch die Gegend, ich weiß nicht, ob mit Chauffeur und Vorhang oder ohne. Ich glaube nicht, daß er fertig studiert hat. Manchmal traf ich ihn im ›Weinloch‹, aber er sah keine Filme mehr, und über die Weltrevolution und den russischen, chinesischen und albanischen Weg hatte ich keine Lust zu reden. Anfang der achtziger Jahre löste sich der KBW auf. Manche gingen zu den Grünen oder zur DKP , manche landeten bei den Chaoten, manche hatten von der Politik die Schnauze voll. Ich weiß nicht, was aus Lemke geworden ist. Es hieß mal, er habe bei der Auflösung einen großen Batzen aus der Kasse mitgehen lassen, sich nach Amerika abgesetzt und an der Börse spekuliert. Mal hieß es auch, Lemke sei Carlos, dieser Oberterrorist. Aber das ist alles Hörensagen und Blödsinn.«
»Haben Sie ihn vielleicht kürzlich wieder gesehen?«
»Nein. Einen anderen aus der ersten Reihe hab ich neulich getroffen, einen Theologen, der jetzt die Evangelische Akademie in Husum leitet. Wir haben ein bißchen von alten Zeiten geredet, er arbeitet den Weg der 68er Generation in Akademieseminaren auf. Das war’s. So, und jetzt muß ich in die Redaktion und möchte noch wissen, was hier für mich drin ist außer Kaffee und Kuchen. Um was für eine Geschichte geht’s?«
»Das wüßte ich selbst gerne.«
11
Unterm Birnbaum
Nägelsbach schüttelte den Kopf, als ich fragend zum Atelier sah. »Heute gibt’s nichts zu zeigen. Rodins Kuß in Streichhölzern – das ist vorbei. Schnapsidee. Sie guckten neulich auch nur verlegen, als ich Ihnen das törichte Lied der Streichholzskulptur gesungen habe. Zum Glück habe ich Reni.«
Wir standen auf der Wiese, er den Arm um seine Frau gelegt und sie an ihn geschmiegt. Ich hatte sie vor ihrer jüngsten Krise immer als glückliches Paar erlebt, aber noch nie so verliebt.
»Wie er guckt«, lachte sie, »komm, wir sagen’s ihm.«
»Na ja«, er grinste, »als das Modell kam, Ruca mit Bronze, da drüben steht’s, hat Reni gemeint, wir sollten uns auch einmal so setzen, damit ich ein besseres Gefühl für die Skulptur bekomme. Und so haben wir …«
»… ist alles wieder gut geworden.«
Drüben, zwischen den blühenden Rhododendronbüschen, küßten sich Rodins Liebende. Nägelsbach war hagerer und seine Frau pummeliger, aber über diese Kopie würde Rodin sich trotzdem besonders gefreut haben. Wir setzten uns unter den Birnbaum. Frau Nägelsbach hatte Erdbeerbowle angesetzt.
»Die Kugel, die Sie gebracht haben, kommt aus der Waffe, mit der Wendt getroffen wurde. Bringen Sie auch den Mörder?«
»Ich weiß nicht. Ich erzähle Ihnen, wie weit ich bin. Am 6. Januar haben vier Männer und eine Frau einen Bombenanschlag auf eine militärische Anlage der Amerikaner im Staatsforst Lampertheim …«
»In Käfertal«, unterbrach er mich.
»Unterbrich ihn nicht«,
Weitere Kostenlose Bücher