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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Arbeitszimmer und tranken Sherry. Er las noch immer die ›Neue Juristische Wochenschrift‹. »Der Selb kommt doch nicht nur, um seinem alten Richter einen Besuch zu machen.« Seine Schweinsäuglein blitzten pfiffig.
    »Erinnern Sie sich an die Strafsache Tyberg und Dohmke? Ende 1943, Anfang 1944? Ich habe damals die Ermittlungen geführt, Södelknecht hat die Anklage vertreten, und Sie haben dem Gericht vorgesessen.«
    »Tyberg und Dohmke …« Er sprach die Namen ein paarmal vor sich hin. »Aber ja, zum Tode wurden sie verurteilt, und bei Dohmke wurde auch vollstreckt, der Tyberg hat sich der Vollstreckung entzogen. Hat’s ja weit gebracht, der Mann. Und ist ein Mann von Welt gewesen, oder lebt er noch? Bin ihm mal bei einem Empfang in der Solitude begegnet, haben über die alten Zeiten gescherzt. Der hat verstanden, daß wir damals alle unsere Pflicht tun mußten.«
    »Was ich wissen möchte – hatte das Gericht damals Signale von oben bekommen, was den Ausgang des Verfahrens angeht, oder war es ein ganz gewöhnlicher Prozeß?«
    »Warum interessiert ihn das? Wessen Maultaschen schmälzt er denn, der Selb?«
    Die Frage mußte ja kommen. Ich erzählte ihm von einem zufälligen Kontakt mit Frau Müller und meiner Begegnung mit Frau Hirsch. »Ich möchte einfach wissen, was damals gewesen ist und was für eine Rolle ich gespielt habe.«
    »Für eine Wiederaufnahme langt das nie, was Ihnen die Frau erzählt hat. Wenn der Weinstein noch leben würde … aber so. Ich glaube das auch nicht. Man hat sein Judiz, und je besser ich mich erinnere, desto sicherer bin ich wieder, daß das Urteil gestimmt hat.«
    »Und gab es nun Signale von oben? Sie verstehen mich doch nicht falsch, Herr Beufer. Wir beide wissen, daß der deutsche Richter auch unter außergewöhnlichen Bedingungen seine Unabhängigkeit zu wahren wußte. Trotzdem wurde von interessierter Seite immer wieder versucht, Einfluß zu nehmen, und ich wüßte gerne, ob es in diesem Verfahren eine interessierte Seite gab.«
    »Ach, Selb, warum läßt er die alten Sachen nicht ruhen. Aber wenn er’s für seinen Seelenfrieden wissen muß … Der Weismüller hat mich damals ein paarmal angerufen, der damalige Generaldirektor. Ihm war’s darum zu tun, daß der Fall vom Tisch und die RCW aus dem Gerede kamen. Vielleicht war ihm die Verurteilung von Tyberg und Dohmke einfach deswegen recht. Es bringt eben nichts einen Fall so gründlich vom Tisch wie eine schnelle Hinrichtung. Ob Weismüller noch aus anderen Gründen die Verurteilung am Herzen lag … Keine Ahnung, ich glaub’s eigentlich nicht.«
    »Das war alles?«
    »Mit Södelknecht hat Weismüller damals wohl noch zu tun gehabt. Tybergs Verteidiger hatte jemanden aus den RCW als Entlastungszeugen präsentiert, der sich im Zeugenstand schier um Kopf und Kragen geredet hat und für den sich Weismüller verwandt hat. Warten Sie, der Mann hat’s auch weit gebracht, richtig, Korten ist der Name, der jetzige Generaldirektor. Da haben wir die Generaldirektoren ja alle beisammen.« Er lachte.
    Wie hatte ich das vergessen können? Ich selbst war damals froh gewesen, meinen Freund und Schwager nicht in das Verfahren einführen zu müssen, aber dann hatte die Verteidigung ihn hineingezogen. Ich war froh gewesen, weil Korten mit Tyberg so eng zusammengearbeitet hatte, daß seine Beteiligung im Prozeß auch auf ihn hätte Verdacht werfen, jedenfalls aber die Karriere beschädigen können. »Wußte man bei Gericht damals, daß Korten und ich Schwager sind?«
    »Meiner Treu. Das hätte ich nicht gedacht. Da haben Sie Ihren Schwager damals aber schlecht beraten. Er hat sich so für Tyberg stark gemacht, daß Södelknecht ihn in der Verhandlung beinahe vom Fleck weg verhaftet hätte. Sehr anständig, zu anständig, hat Tyberg nichts genützt. Es hat ein Gschmäckle, wenn ein Zeuge der Verteidigung über die Tat nichts zu sagen weiß und nur freundliche Allgemeinplätze über den Angeklagten verbreiten kann.«
    Es gab nichts mehr, wonach ich Beufer noch hätte fragen müssen. Ich trank den zweiten Sherry, den er mir einschenkte, und plauderte über Kollegen, die wir beide kannten. Dann verabschiedete ich mich.
    »Der Selb, jetzt geht er wieder seiner Spürnase nach. Sie läßt ihn eben doch nicht, die Gerechtigkeit, gell? Zeigt er sich mal wieder beim alten Beufer? Soll mich freuen.«
    Auf meinem Auto lagen zehn Zentimeter frischen Schnees. Ich wischte ihn weg, kam mit Glück sicher den Berg runter auf die Bundesstraße und folgte

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