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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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etwas von Antisemitismus gehalten. Ich finde es schwierig, Zwangsarbeiter im Werk zu haben, aber ob das Juden oder Franzosen oder Deutsche sind, ist egal. Bei uns im Labor arbeitet Professor Weinstein, und es ist ein Jammer, daß dieser Mann nicht hinter dem Katheder oder in seinem eigenen Labor stehen kann. Er leistet uns unschätzbare Dienste, und wenn du nach dem Aussehen und der Gesinnung gehst, findest du niemanden, der deutscher ist. Ein Professor der alten Schule, bis 1933 Ordinarius für organische Chemie in Breslau, alles, was Tyberg als Chemiker ist, verdankt er Weinstein, dessen Famulus und Assistent er war. Der Typ des liebenswürdigen, zerstreuten Gelehrten.«
    »Und wenn ich dir sagen würde, daß der Tyberg beschuldigt?«
    »Um Gottes willen, Gerd. Wo Weinstein doch so an seinem Schüler Tyberg hängt … Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
    Ein Räumfahrzeug pflügte sich seinen Weg auf den Parkplatz. Der Fahrer stieg aus und kam in die Raststätte. Ich fragte ihn, wie ich nach Mannheim weiterkäme.
    »Gerade ist ein Kollege zum Heidelberger Kreuz gefahren. Machen Sie schnell, ehe die Fahrbahn wieder zu ist.«
    Es war sieben. Um Viertel vor acht war ich am Heidelberger Kreuz und um neun in Mannheim. Ich mußte mir noch die Beine vertreten und freute mich am tiefen Schnee. Die Stadt lag still. Ich wäre gerne mit der Troika durch Mannheim gefahren.

7
Was ermittelst du jetzt eigentlich?
    Um acht wachte ich auf, aber ich kam nicht hoch. Es war alles zuviel gewesen, der nächtliche Rückflug von New York, die Fahrt nach Karlsruhe, das Gespräch mit Beufer, die Erinnerungen und die Odyssee über verschneite Autobahnen.
    Um elf rief Philipp an. »Daß man dich endlich mal erwischt. Wo hast du dich denn rumgetrieben? Deine Doktorarbeit ist fertig.«
    »Doktorarbeit?« Ich wußte nicht, wovon er redete.
    »Frakturen durch Türen. Zugleich ein Beitrag zur Morphologie des Autoaggressiven. Du hast das doch in Auftrag gegeben.«
    »Ah ja. Und da liegt jetzt eine wissenschaftliche Abhandlung vor? Wann kann ich die haben?«
    »Jederzeit, du mußt nur bei mir im Krankenhaus vorbeikommen und sie holen.«
    Ich stand auf und machte mir Kaffee. Der Himmel über Mannheim hing immer noch voll Schnee. Turbo kam weiß bepudert vom Balkon herein.
    Mein Eisschrank war leer, und ich ging einkaufen. Schön, daß man mit dem Streusalz vorsichtiger umgeht in den Städten. Ich mußte nicht durch braunen Matsch stapfen, sondern lief über knirschenden, festgetretenen Neuschnee. Die Kinder bauten Schneemänner und machten Schneeballschlachten. In der Bäckerei am Wasserturm traf ich Judith. »Ist das nicht ein herrlicher Tag?« Ihre Augen leuchteten.
    »Früher, als ich noch zur Arbeit mußte, habe ich mich über Schnee immer geärgert. Scheiben saubermachen, Auto springt nicht an, langsam fahren, steckenbleiben. Was habe ich mir da nur entgehen lassen.«
    »Komm«, sagte ich, »wir machen einen Winterspaziergang zum ›Kleinen Rosengarten‹. Ich lade dich ein.«
    Diesmal sagte sie nicht nein. Ich fühlte mich etwas altmodisch neben ihr; sie in wattierter Jacke und Hose und mit hohen Stiefeln, die wahrscheinlich ein Nebenprodukt der Weltraumforschung sind, ich mit Paletot und Galoschen. Auf dem Weg erzählte ich ihr von meinen Ermittlungen im Fall Mencke und dem Schnee in Pittsburgh. Auch sie fragte mich gleich, ob ich die Kleine aus ›Flashdance‹ getroffen hätte. Ich wurde neugierig auf den Film.
    Giovanni machte große Augen. Als Judith auf der Toilette war, kam er an unseren Tisch. »Alte Frau nix gut? Neue Frau besser? Das nächste Mal ich dich besorgen italienische Frau, dann du haben Ruhe.«
    »Deutscher Mann nix brauchen Ruhe, brauchen viele, viele Frauen.«
    »Dann du müssen viel gut essen.« Er empfahl das Steak Pizzaiola und vorher die Hühnersuppe. »Der Chef hat das Huhn heute morgen selbst geschlachtet.« Ich bestellte für Judith einfach dasselbe und dazu eine Flasche Chianti classico.
    »Ich war noch aus einem anderen Grund in Amerika, Judith. Der Fall Mischkey hat mich nicht in Ruhe gelassen. Ich bin dann zwar nicht weitergekommen. Aber die Fahrt hat mich mit meiner eigenen Vergangenheit konfrontiert.« Sie hörte meinem Bericht aufmerksam zu.
    »Was ermittelst du jetzt eigentlich? Und warum?«
    »Ich weiß es nicht genau. Ich würde gerne mal mit Tyberg sprechen, wenn er noch lebt.«
    »O ja, der lebt noch. Ich habe öfter Briefe an ihn geschrieben, Geschäftsberichte oder Festtagsgaben geschickt. Er

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