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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Schritte auf die Straße. Der Weg führte mich zum Liquor Store. Er hatte noch auf. Ich nahm dem Southern Comfort die letzte Nacht nicht übel, ich bin nicht nachtragend. Um es ihm klarzumachen, kaufte ich noch eine Flasche. Der Inhaber sagte: »Better than any of your Sambuca, hey?« Dagegen mochte ich nichts sagen.
    Diesmal wollte ich mich systematisch besaufen. Ich zog mich aus, hängte das ›Do not disturb‹-Schild vor die Tür und meinen Anzug über den Kleiderständer. Mein inzwischen angeschmuddeltes Unterhemd packte ich in einen dafür vorgesehenen Plastiksack, den ich ebenfalls im Korridor ließ. Dazu stellte ich meine Schuhe und hoffte, daß ich am nächsten Morgen alles in ordnungsgemäßem Zustand vorfinden würde. Ich verschloß die Tür von innen, zog die Vorhänge zu, schaltete den Fernseher an, streifte meinen Pyjama über, schenkte mein erstes Glas ein, stellte Flasche und Aschenbecher griffbereit auf das Nachtkästchen, legte Zigaretten und Streichholzbriefchen daneben und mich ins Bett. Im Fernsehen kam ›Red River‹. Ich zog die Decke bis ans Kinn, sah zu, rauchte und trank.
    Nach einer Weile verschwanden die Bilder vom Gerichtssaal, in dem ich meine Auftritte hatte, von den Hinrichtungen, bei denen ich hatte dabeisein müssen, von grünen und grauen und schwarzen Uniformen und von meiner Frau im BDM -Gewand. Ich hörte keine hallenden Stiefel in langen Korridoren mehr, keine Führerreden aus dem Volksempfänger, keine Sirenen. John Wayne trank Whisky, ich trank Southern Comfort, und als er losging und aufräumte, war ich mit dabei.
    Am nächsten Mittag war die Rückkehr aus dem Suff schon zum Ritual geworden. Zugleich war mir klar, daß mit dem Saufen Schluß war. Ich fuhr in den Golden Gate Park und lief zwei Stunden. Am Abend fand ich ›Perry’s‹, einen Italiener, bei dem ich mich fast so wohl fühlte wie im ›Kleinen Rosengarten‹. Ich schlief tief und traumlos, und am Montag entdeckte ich das amerikanische Frühstück. Um neun rief ich bei Vera Müller an. Sie erwartete mich zum Lunch.
    Um halb eins stand ich mit einem Strauß gelber Rosen vor ihrem Haus am Telegraph Hill. Sie war nicht die blauhaarige Karikatur, die ich mir vorgestellt hatte. Sie war etwa so alt wie ich, und wenn ich als Mann so gealtert war wie sie als Frau, dann wollte ich zufrieden sein. Sie war groß, schlank, knochig, trug ihre grauen Haare hochgesteckt, über Jeans einen Russenkittel, hatte am Kettchen die Brille umhängen und einen spöttischen Ausdruck um die grauen Augen und den schmalen Mund. Sie trug zwei Eheringe an der Linken.
    »Ja, ich bin Witwe.« Sie hatte meinen Blick bemerkt. »Mein Mann ist vor drei Jahren gestorben. Sie erinnern mich an ihn.« Sie führte mich in den Salon, durch dessen Fenster ich Alcatraz sah, die Gefängnisinsel. »Nehmen Sie einen Pastis als Aperitif? Bedienen Sie sich, ich schiebe gerade die Pizza in den Ofen.«
    Als sie wiederkam, hatte ich zwei Gläser eingeschenkt. »Ich muß Ihnen ein Geständnis machen. Ich bin nicht Historiker aus Hamburg, sondern Privatdetektiv aus Mannheim. Der Mann, auf dessen Anzeige Sie geantwortet haben, auch er kein Hamburger Historiker, wurde ermordet, und ich versuche herauszufinden, warum.«
    »Wissen Sie denn schon, von wem?«
    »Ja und nein.« Ich erzählte meine Geschichte.
    »Haben Sie Frau Hirsch gegenüber Ihre eigene Verwicklung in die Affäre Tyberg erwähnt?«
    »Nein, ich habe mich nicht getraut.«
    »Sie erinnern mich wirklich an meinen Mann. Er war Journalist, ein berühmter rasender Reporter, aber bei allen seinen Reportagen hatte er Angst. Es ist übrigens gut, daß Sie es ihr nicht gesagt haben. Es hätte sie zu sehr aufgeregt, auch wegen ihres Verhältnisses zu Karl. Wußten Sie, daß er in Stanford noch mal eine große Karriere hatte? Sarah ist in diese Welt nie hineingewachsen. Sie ist bei ihm geblieben, weil sie meinte, es ihm, der so lange auf sie gewartet hatte, schuldig zu sein. Und zugleich hat er nur aus Loyalität mit ihr zusammengelebt. Geheiratet haben die beiden nie.«
    Sie führte mich auf den Küchenbalkon und holte die Pizza. »Am Altwerden gefällt mir, daß die Prinzipien Löcher kriegen. Ich hätte mir nie gedacht, daß ich mal mit einem alten Nazistaatsanwalt essen kann, ohne daß mir die Pizza im Hals steckenbleibt. Sind Sie immer noch Nazi?«
    Mir blieb die Pizza im Hals stecken.
    »Ist ja schon gut. Sie sehen mir nicht aus wie einer. Haben Sie manchmal Probleme mit Ihrer Vergangenheit?«
    »Mindestens

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