Selbs Justiz
für zwei Flaschen Southern Comfort.« Ich berichtete, wie es mir am Wochenende ergangen war.
Wir saßen noch um sechs zusammen. Sie erzählte von ihrem Anfang in Amerika. Bei der Olympiade in Berlin hatte sie ihren Mann kennengelernt und war mit ihm nach Los Angeles gezogen. »Wissen Sie, was mir am schwersten gefallen ist? Im Badeanzug in die Sauna zu gehen.«
Dann mußte sie zu ihrem Nachtdienst in der Telephonseelsorge, und ich ging noch mal zu ›Perry’s‹ und nahm nur eine Sechserpackung Bierdosen mit ins Bett. Am nächsten Morgen schrieb ich Vera Müller beim Frühstück eine Postkarte, zahlte die Rechnung und fuhr zum Flughafen. Am Abend war ich in Pittsburgh. Es lag Schnee.
4
Kein gutes Haar an Sergej
Die Taxis, die mich am Abend ins Hotel und am darauffolgenden Morgen zum Ballett brachten, waren genauso gelb wie die in San Francisco. Es war neun, das Ensemble probte schon, um zehn machten sie eine Pause, und ich fragte mich zu den beiden Mannheimern durch. Sie standen in Strumpfhosen und Leibchen mit einem Joghurt in der Hand an der Heizung.
Als ich mich und mein Anliegen vorstellte, konnten sie kaum fassen, daß ich ihretwegen den weiten Weg gemacht hatte.
»Hast du das gewußt vom Sergej?« wandte sich Hanne an Joschka. »Du, das macht mich unheimlich betroffen.«
Auch Joschka war erschrocken. »Wenn wir Sergej irgendwie helfen können … Ich red mal mit dem Boss. Eigentlich müßte es reichen, wenn wir um elf Uhr wieder mit dabei sind. Dann können wir uns in der Kantine zusammensetzen und reden.«
Die Kantine war leer. Durch das Fenster sah ich einen Park mit großen kahlen Bäumen. Mütter waren mit ihren Kindern unterwegs, Eskimos in wattierten Overalls, die im Schnee tollten.
»Also mir ist es wirklich wichtig einzubringen, was ich über Sergej weiß. Ich fänd es ganz furchtbar, wenn man da auf falsche … wenn man da dächte … Sergej, er ist so unheimlich sensibel. Er ist auch so verletzlich, nicht so ein Macho. Wissen Sie, schon deswegen kann er das nicht selbst gewesen sein, er hatte immer wahnsinnige Angst vor Verletzungen.«
Joschka war sich nicht so sicher. Nachdenklich rührte er mit einem Plastikstöckchen in seiner Styroporkaffeetasse. »Herr Selb, auch ich glaube nicht, daß Sergej sich selbst verstümmelt hat. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß irgend jemand so was macht. Aber wenn jemand … Wissen Sie, verrückte Ideen hat der Sergej schon immer gehabt.«
»Wie kannst du so was Gemeines sagen«, unterbrach ihn Hanne. »Ich dachte, du bist sein Freund. Nee, also, das macht mich ganz schön traurig, echt.«
Joschka legte seine Hand auf ihren Arm. »Aber Hanne, erinnerst du dich nicht an den Abend, an dem wir das Ensemble aus Ghana bewirtet haben? Da hat er erzählt, wie er sich als Pfadfinder beim Kartoffelschälen extra in die Hand geschnitten hat, um keinen Küchendienst mehr machen zu müssen. Wir haben damals alle darüber gelacht, du auch.«
»Aber das hast du völlig schief mitgekriegt. Er hat doch nur so getan, als hätte er sich geschnitten, und sich einen dicken Verband gemacht. Also, wenn du so die Wahrheit verdrehst … Also Joschka, also wirklich …«
Joschka wirkte nicht überzeugt, wollte aber nicht mit Hanne streiten. Ich fragte nach Sergejs Verfassung und Gemütslage in den letzten Monaten der abgelaufenen Spielzeit.
»Genau«, sagte Hanne, »das paßt auch nicht zu Ihrem komischen Verdacht. Er hat so an sich geglaubt, er wollte noch unbedingt Flamenco dazunehmen und hat sich um ein Stipendium nach Madrid bemüht.«
»Aber Hanne, das Stipendium hat er doch grade nicht gekriegt.«
»Aber verstehst du denn nicht, daß er sich beworben hat, da war irgendwie soviel Power drin. Und mit seiner Beziehung, das hat auch endlich richtig gestimmt im Sommer, mit seinem Germanistikprofessor. Wissen Sie, Sergej, nein, schwul war er nicht, aber er kann auch Männer liebhaben. Ich finde das ganz toll an ihm. Und auch nicht nur so was Kurzes, Sexuelles, sondern echt tief. Man muß ihn einfach mögen. Er ist so …«
»Sanft?« schlug ich vor.
»Genau, sanft. Kennen Sie ihn eigentlich, Herr Selb?«
»Ach, sagen Sie mir noch, wer ist der Germanistikprofessor, den Sie erwähnt haben?«
»War das wirklich Germanistik, ist das nicht Jura?« Joschka runzelte die Stirn.
»Ach Quatsch, du läßt kein gutes Haar an Sergej. Es war ein Germanist, ein ganz kuschliger. Aber der Name … Ich weiß nicht, ob ich Ihnen den sagen soll.«
»Hanne, die beiden haben
Weitere Kostenlose Bücher