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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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wohnt am Lago Maggiore, in Monti sopra Locarno.«
    »Dann möchte ich auch noch mal mit Korten reden.«
    »Und was hat der mit dem Mord an Peter zu tun?«
    »Ich weiß es nicht, Judith. Ich gäbe sonst was dafür, wenn ich das alles durchschauen würde. Immerhin hat mich Mischkey darauf gebracht, mich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Ist dir zu dem Mord noch etwas eingefallen?«
    Sie hatte sich überlegt, ob man die Geschichte nicht an die Presse bringen könnte. »Ich finde es einfach unerträglich, daß die Sache so zu Ende sein soll.«
    »Meinst du damit, daß unbefriedigend ist, was wir wissen? Das wird dadurch, daß wir zur Presse gehen, auch nicht besser.«
    »Nein. Ich finde, die RCW haben nicht wirklich bezahlt. Ganz egal, wie das mit dem alten Schmalz gelaufen ist, irgendwie fällt das doch in ihre Verantwortung. Und außerdem erfahren wir vielleicht noch mehr, wenn die Presse in das Wespennest sticht.«
    Giovanni brachte die Steaks. Wir aßen eine Weile schweigend. Ich konnte mich mit dem Gedanken, die Sache an die Presse zu geben, nicht befreunden. Mischkeys Mörder hatte ich letztlich im Auftrag der RCW gefunden, jedenfalls hatten mich die RCW dafür bezahlt. Was Judith wußte und an die Presse geben konnte, wußte sie von mir. Meine professionelle Loyalität stand auf dem Spiel. Ich ärgerte mich, daß ich Kortens Geld genommen hatte. Anders wäre ich jetzt frei.
    Ich erklärte ihr meine Bedenken. »Ich will mir überlegen, ob ich über meinen Schatten springen kann, aber mir wär’s lieber, du würdest warten.«
    »Na gut. Ich war damals ganz froh, deine Rechnung nicht zahlen zu müssen, hätte mir aber gleich denken können, daß so was seinen Preis hat.«
    Wir waren mit dem Essen fertig. Giovanni servierte zwei Sambuca. »Mit den Komplimenten des Hauses.« Judith erzählte mir von ihrem Leben als Arbeitslose. Zuerst hatte sie die Freiheit genossen, aber langsam gingen die Probleme los. Vom Arbeitsamt konnte sie nicht erwarten, wieder einen vergleichbaren Job vermittelt zu bekommen. Sie müßte sich selber tummeln. Zugleich wußte sie nicht recht, ob sie sich noch einmal in ein Leben als Chefsekretärin schicken wollte.
    »Kennst du Tyberg persönlich? Ich selber habe ihn zum letztenmal vor mehr als vierzig Jahren gesehen und weiß nicht, ob ich ihn wiedererkennen würde.«
    »Ja, auf dem Jubiläum damals, zum hundertjährigen Bestehen der RCW , war ich abgestellt, mich als sein Mädchen für alles um ihn zu kümmern. Warum?«
    »Magst du mitkommen, wenn ich zu ihm nach Locarno fahre? Ich würde mich freuen.«
    »Du willst es also wirklich wissen. Wie hast du vor, den Kontakt mit ihm herzustellen?«
    Ich überlegte.
    »Laß mal«, sagte sie, »das fädel ich schon ein. Wann fahren wir los?«
    »Für wann kannst du frühestens einen Termin mit Tyberg organisieren?«
    »Sonntag? Montag? Ich kann’s nicht sagen. Vielleicht ist er auf den Bahamas.«
    »Mach den Termin so bald wie möglich fest, dann fahren wir.«

8
Gehen Sie mal auf die Scheffelterrasse
    Professor Kirchenberg war bereit, mich sofort zu empfangen, als er hörte, daß es um Sergej ging. »Der arme Junge, und Sie wollen ihm helfen. Dann kommen Sie doch gleich vorbei. Ich bin den ganzen Nachmittag im Palais Boisserée.«
    Aus der Presseberichterstattung über den sogenannten Germanistenprozeß wußte ich noch, daß das Palais Boisserée das Germanistische Seminar der Universität Heidelberg beherbergt. Die Professoren fühlen sich als legitime Nachfahren der früheren prinzlichen Bewohner. Als aufmüpfige Studenten das Palais profanierten, wurde mit Hilfe der Justiz an ihnen ein Exempel statuiert.
    Kirchenberg war besonders prinzlich-professoral. Er hatte eine leichte Glatze, Kontaktlinsen, ein sattes, rosiges Gesicht, und trotz seiner Neigung zur Korpulenz bewegte er sich mit hüpfender Eleganz. Zur Begrüßung nahm er meine Hand in seine beiden Hände. »Ist es nicht einfach erschütternd, was Sergej zugestoßen ist?«
    Ich stellte wieder meine Fragen nach Gemütsverfassung, Berufsabsichten, Finanzlage.
    Er lehnte sich im Sessel zurück. »Serjoscha ist von seiner schwierigen Jugend gezeichnet. Die Jahre zwischen acht und vierzehn in Roth, einer bigotten fränkischen Garnisonsstadt, waren ein Martyrium für das Kind. Ein Vater, der seine Homoerotik nur in militärischer Kraftmeierei leben konnte, die bienenfleißige, herzensgute, mimosenschwache Mutter. Und das Tapp, Tapp, Tapp«, er klopfte mit den Knöcheln auf den Schreibtisch,

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