Selbs Mord
wandte sie die Augen von der Decke und sah mir ins Gesicht.
Ihr Blick gefiel mir nicht. »Komm, Brigitte …« Ich wußte nicht weiter.
»Vielleicht bist du deswegen, was du bist. Ein einsamer, schwieriger, alter Mann. Du siehst das Glück nicht, wenn es dir über den Weg läuft, und festhalten – wie sollst du es festhalten, wenn du es nicht siehst. Hier wird es dir sogar in die Hände gelegt, aber du läßt es durch die Finger rinnen. Wie du unser Glück durch die Finger rinnen läßt.« Sie sah wieder an die Decke.
»Ich will unser Glück nicht …«
»Ich weiß, Gerd. Du willst es nicht. Aber du tust es.«
Ich hörte ihren Worten nach. Ich war nicht bereit, mich einsam, schwierig und alt auf die Seite zu drehen. Nicht nach den Tagen in Sardinien. »Brigitte?«
»Ja.«
»Was würdest du lieber als die Praxis machen?«
Sie schwieg so lange, daß ich dachte, sie wollte nichts mehr sagen. Dann weinte sie ein paar Tränen. »Ich hätte gerne Kinder mit dir gehabt. Manu habe ich trotz der Sterilisation bekommen. Mit dir habe ich keine bekommen, obwohl ich nicht verhütet habe. Wir hätten es in vitro versuchen müssen.«
»Du und ich im Reagenzglas?«
»Du denkst, der Arzt schüttelt uns im Reagenzglas wie der Mixer den Cocktail im Shaker? Er bettet deine Samenzelle und meine Eizelle auf einem flachen Glas, und dann machen die beiden, was man auf einem Bett eben macht, wenn man sich liebt.«
Ich freute mich an den beiden Zellen auf dem Glas. Es war ein hübsches Bild.
»Jetzt ist es zu spät dafür.«
»Es tut mir leid, Brigitte. Ich habe dir eben von Schuler erzählt – er würde noch leben, wenn ich nicht zu langsam gewesen wäre. Ich bin immer wieder zu langsam, nicht erst seit ich älter werde. Dich hätte ich am Morgen nach unserer ersten Nacht fragen sollen, ob du mich heiraten willst.« Ich streckte den Arm aus, und nach kleinem Zögern hob Brigitte den Kopf, und ich schob den Arm darunter.
»Dafür ist es nicht zu spät.«
»Willst du?«
»Ja.« Sie kuschelte sich an mich und nickte in meine Achsel.
»Ich mache nur noch den Fall zu Ende. Es ist mein letzter.«
3
Traktoren stehlen
Diesmal habe ich Berlin gemieden. Ich fuhr mit dem Auto, verließ bei Weimar die Autobahn und mäanderte übers Land. Vor Cottbus gab es einen Park, angelegt von Fürst Pückler mit einer Pyramide für sich und seine Frau, einer für sein Lieblingspferd und einer für seinen Lieblingshund. Seine ägyptische Geliebte mußte sich mit einem Grab auf dem Friedhof begnügen; sie war jung, schön und dunkel und mit ihren zarten orientalischen Bronchien dem Klima der Sorben nicht gewachsen gewesen. Ich verstand sie. Ich war dem Klima bei meinem letzten Besuch auch nicht gewachsen gewesen.
Ich hatte Vera Soboda am Morgen zu Hause angerufen, und sie hatte mich zum Abendessen eingeladen. Es gab Kartoffeln mit Quark und dazu Lausitzer Urquell, ein Bier aus der Gegend, mit hopfigem Biß, aber weich im Abgang.
»Was bringt Sie nach Cottbus?«
»Die Sorbische. Sehen Sie, wie ich an die Daten herankommen kann, von denen Sie mir erzählt haben?«
»Ich arbeite dort nicht mehr. Ich bin gekündigt worden.« Sie lachte. »Schauen Sie nicht so verdutzt. Wissen Sie, ich war nicht wirklich die Chefin. Ich hab mich nur um alles gekümmert, weil einer es tun mußte und die Stelle nicht besetzt war. Vor zwei Wochen wurde sie mit einem Dummkopf besetzt, der vom Bankgeschäft nichts versteht. Am dritten Tag bin ich mit ihm aneinandergeraten, und er hat mich rausgeschmissen. Es ging blitzschnell.
Er stand an meinem Schreibtisch und sagte: ›Frau Soboda, Sie sind gekündigt. Sie haben eine halbe Stunde, Ihren Schreibtisch von Ihren persönlichen Gegenständen zu leeren. Dann verlassen Sie das Objekt.‹ Er blieb neben mir stehen und sah mir zu, als ob ich sonst den Locher oder die Büroklammern oder den Kugelschreiber mitgenommen hätte. Dann brachte er mich zur Tür und sagte: ›Ihr Geld kriegen Sie noch sieben Monate. Nichts für ungut.‹«
»Waren Sie beim Anwalt?«
»Der hat den Kopf gewiegt und wollte nichts versprechen. Ich hätte dem neuen Chef die Meinung vielleicht ein bißchen zu deutlich gesagt. Also habe ich aufgegeben. Wir sind im Prozessieren nicht geübt. Und wenn ich verliere – wie soll ich das zahlen.«
»Was jetzt?«
»Zu tun gibt’s hier genug. Das Problem ist: Was wir brauchen, bringt kein Geld, und was Geld bringt, brauchen wir oft genug nicht. Aber es wird schon werden. Der liebe Gott wird eine gute
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