Selbs Mord
vergraben hatte? Es in den Klingelbeutel tun? Ich hatte es vergessen.
Auch Manu hatte bei der Predigt aufgepaßt. Beim Mittagessen erfuhren wir, daß sein Freund einen Bruder hatte, wenige Jahre älter, der übers Internet Aktien kaufte und verkaufte und so sein Geld mehrte. Manu wollte daraus und aus Matthäus 25, Vers 14-30 ableiten, daß seine Mutter oder sein Vater ihm einen Computer mit Internet-Anschluß besorgen müßten. Dann sah er mich an. »Oder willst du?«
Am Nachmittag fuhren wir nach Schwetzingen in den Schloßpark, den ich über der Arbeit am Fall so oft aus der Ferne gesehen hatte. Wir liefen durch die Allee, die mit den neuen, kleinen Kastanien so jung aussah, an der Orangerie vorbei zum römischen Aquädukt, über die Chinesische Brücke und am See entlang zum Merkurtempel. Brigitte zeigte uns, wo ihre Eltern für sie und ihre Geschwister hier früher Ostereier versteckt hatten. An der Moschee deklamierte Manu »Allah lenkt zu seinem Licht, wen er will«, was er in der Schule gelernt hat, als sie den Islam behandelt haben. Dann setzten wir uns auf dem Schloßplatz in die Sonne, tranken Kaffee und aßen Kuchen. Ich erkannte die Bedienung wieder, aber sie mich nicht. Ich sah zu Weller & Welker hinüber.
Auf dem Schloßplatz flanierten Touristen und Schwetzinger, ein quirliges Treiben. Durch das Treiben bahnte sich langsam und geduldig ein Auto seinen Weg, ein dunkler Saab. Er hielt vor der Bank; das Tor schwang auf und ließ das Auto herein.
Das war alles. Ein Auto, das vor dem Tor hält, das Tor, das aufschwingt und einen Augenblick aufbleibt, das einfahrende Auto und das Tor, das wieder zuschwingt. Es war nicht das Bild, das ich von dem Nachmittag, an dem ich das erste Mal die Bank beobachtet hatte, in Erinnerung hatte. Damals war der Schloßplatz leer, heute war er voll, damals waren die ein- und ausfahrenden Autos nicht zu übersehen, heute ging der dunkle Saab im Getriebe des Platzes beinahe unter.
Aber es traf mich wie ein elektrischer Schlag. Man führt den Schlüssel ins Schloß des Autos, schaltet den Radioapparat ein oder tritt auf den Balkon, vielleicht in Nachthemd und Morgenmantel, um nach dem Himmel zu sehen und die Temperatur zu prüfen, und stützt die Hände auf das metallene Geländer. Der Schlag tut kaum weh. Was einen trifft, ist nicht der Schmerz, sondern das plötzliche Bewußtsein, daß Auto, Radio oder Geländer, daß überhaupt alles, was uns vertraut ist und womit wir rechnen, eine unberechenbare, bösartige Seite hat. Daß es nicht so stimmt, wie wir es als stimmig und verläßlich voraussetzen. Das einfahrende Auto und das auf- und zuschwingende Tor – wie damals hatte ich das Gefühl, daß an dem, was sich vor meinen Augen abspielte, etwas nicht stimmte.
Ein Kunde am Sonntag? Ausschließen konnte ich es bei einer kleinen Bank und einem wichtigen Kunden natürlich nicht. Aber das Geschäft, das gewiß an keinem Sonn- und Feiertag ruhen würde, war die Geldwäsche.
Als eine halbe Stunde später das Tor sich öffnete, den dunklen Saab rausließ und sich wieder schloß, stand ich in der Nähe. Der Wagen hatte ein Frankfurter Kennzeichen. Die Scheiben waren getönt. Am Rand des Kofferraums hing kein Fünfzigmarkschein fest, den man beim Auspacken übersehen hatte.
Als ich Brigitte am Abend im Bett sagte, ich wollte für ein paar Tage verreisen, fragte sie skeptisch: »Der einsame Cowboy reitet wortlos in die untergehende Sonne?«
»Der Cowboy reitet nach Cottbus, nicht in die unter-, sondern in die aufgehende Sonne. Er reitet auch nicht wortlos.« Ich erzählte ihr von der Geldwäsche in der Sorbischen Genossenschaftsbank und daß ich wissen wollte, ob sie aufgehört hatte oder weiterging. Ich erzählte von Vera Soboda. Ich erzählte von Schuler und seinem Geld. »Es kommt aus dem Osten und soll wieder in den Osten. Vielleicht finde ich einen Pfarrer oder eine Einrichtung, die was Vernünftiges damit machen. Und vielleicht finde ich was, was Schulers Tod aufklären hilft.«
Brigitte verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schaute an die Decke. »Ich kann auch was Vernünftiges mit dem Geld machen. Was ich gerne statt der Praxis machen würde, was ich für die Praxis brauche, was Manu sich wünscht – alles vernünftige Sachen.«
»Es ist Drogen-, Prostitutions- und Erpressungsgeld. Es ist kein gutes Geld. Ich bin froh, wenn es weg ist.«
»Geld stinkt nicht – hat man dir das nicht beigebracht?«
Ich richtete mich auf und sah Brigitte an. Nach einer Weile
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