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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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beschreiben und besorgte mir eines. Als ich zurückkam, setzte sich Frau Soboda mit mir an den Computer. Sie zeigte und erklärte, ich fragte und übte. Einschalten. Password eingeben. Was könnte das richtige Password sein? Wie könnte es vom Arbeitssystem ins Protokoll-File gehen? Wie würde ich die Kontostände im Arbeitssystem und die Vorgänge im Protokoll-File abfragen? Wie könnte es weiter ins Geldwaschsystem gehen? Wie würde ich am Handy beschreiben, was auf dem Bildschirm passierte? Um drei wußte ich nicht, wo mir der Kopf stand.
    »Sie haben ein paar Stunden, alles noch mal durchzugehen. Der neue Chef bleibt lange, und vor acht würde ich nicht aus dem Schrank steigen.« Sie erklärte mir, wie ich mich in die Teeküche schmuggeln könnte. »Viel Glück!«
    Ich parkte in einer Nebenstraße und ging in die Sorbische. Durch die Schalterhalle, an der Kasse vorbei, in den kurzen Gang, der zum Seiteneingang führte und an dessen Anfang Toilette und Teeküche lagen – es war nicht schwer. Niemand guckte, als ich langsam durch die besuchte Schalterhalle ging und am Anfang des kurzen Gangs rasch die Tür zur Teeküche mit dem Dietrich aufschloß und hinter mir wieder zumachte.
    Der Sicherungsschrank war voll, und ich mußte Besen, Schrubber, Lappen, Eimer und Putzmittel sorgsam schichten und stapeln, bis ich Platz fand. Komfortabel war es nicht. Ich stand in Habtachtstellung, den Sicherungskasten im Rücken, Fuß an Fuß und die Arme an die Seiten gepreßt. Es roch intensiv nach Putzmitteln, nicht nach dem Duft frischer Zitrone, sondern nach einer Mischung aus Kernseife, Salmiakgeist und faulem Obst. Zuerst hielt ich die Schranktür auf; ich dachte, ich würde rechtzeitig hören, wenn jemand ins Zimmer träte. Aber als jemand kam, kriegte ich es erst mit, als er im Zimmer stand, und wenn er in meine Richtung gesehen hätte, wäre es um mich geschehen gewesen. Also ließ ich die Schranktür zu. Als die Sorbische um vier schloß, wurde es in der Teeküche lebendig. Die Angestellten, die im Schalterdienst gewesen waren und jetzt noch Büroarbeiten besorgen mußten, machten eine Kaffeepause. Ich hörte die Maschine zischen und gurgeln, Tassen und Löffel klingen, Bemerkungen über Kunden und Tratsch über Kollegen. Mir war nicht wohl in meinem Schrank. Aber die Zeit verflog.
    Sonst schleppte sie sich. Zuerst rekapitulierte ich, was ich über den Computer gelernt hatte. Aber bald konnte ich nur noch daran denken, wie ich meine Beine einen Zentimeter anders setzen, meine Arme ein bißchen anders halten konnte, damit sie weniger schmerzten. Ich bewunderte die Soldaten, die vor dem Buckingham- oder dem Elysee-Palast Wache stehen. Bis ich sie um ihre geräumigen Schilderhäuschen beneidete. Manchmal hörte ich ein Geräusch. Aber ich wußte nicht, ob es aus der Schalterhalle kam oder von der Straße, ob ein Stuhl gegen einen Schreibtisch gestoßen oder ein Auto gegen ein anderes Auto gefahren oder ein Brett von einem Gerüst gefallen war. Meistens hörte ich nur das Rauschen meines Bluts in meinem Ohr und ein leises, feines Pfeifen, das auch nicht von außen kam, sondern in meinem Ohr war. Um acht, hatte ich mir vorgenommen, würde ich aus dem Schrank steigen, die Zimmertür öffnen und in die Schalterhalle hören.
    Aber um Viertel vor acht war es aus. Ich hörte wieder ein Geräusch. Während ich mich noch fragte, woher es kam und was es bedeutete, wurde grob und laut die Zimmertür aufgerissen. Für einen Augenblick war es still; der Eingetretene blieb stehen, als lasse er seinen Blick über Spüle, Herd und Kühlschrank, Tisch und Stühle, den Hängeschrank über der Spüle und den Sicherungsschrank neben dem Herd schweifen. Dann machte er energisch die paar Schritte zu meinem Schrank und riß die Tür auf.

5
Im dunklen Anzug mit Weste
    Ich war geblendet und sah nur, daß jemand vor mir stand. Ich kniff die Augen zu, riß sie auf und blinzelte. Dann erkannte ich ihn. Vor mir stand Ulbrich.
    Karl-Heinz Ulbrich in dunklem Anzug mit Weste, in rosa Hemd und roter Krawatte und mit silbern gefaßter Halbbrille, über die er mich mit einem Blick ansah, der entschlossen und drohend sein sollte. »Herr Selb …«
    Ich lachte. Ich lachte, weil sich die Anspannung der letzten Minute und des langen Stehens und Wartens löste. Ich lachte über Ulbrichs Kostüm und Blick. Ich lachte über das Ertappt-Werden im Schrank, als wäre ich der Geliebte der Sorbischen und Ulbrich ihr eifersüchtiger Ehemann.
    »Herr Selb …« Es klang

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