Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition)
gänzlich absieht. Aber auch in der Öffentlichkeit schien das bislang kein Thema – so sehr ist den Menschen schon in Fleisch und Blut übergegangen, dass die Wegwerfgesellschaft Wegwerfprodukte braucht, um zu funktionieren, dass das gar keine Frage mehr aufwirft. Schridde geht es, wie er sagt, um den Aufbau einer gemeinwohlorientierten Verbraucherorganisation für nachhaltige Produktqualität, und an einer solchen Formulierung kann man schon ablesen, dass er weiß, warum er etwas tut. Der Betriebswirt Schridde ist ganz offensichtlich jemand, bei dem Denkanstöße Handlungsimpulse auslösen, und der daraufhin nicht lange überlegt, was erforderlich ist. Dass eine Praxis, die von der Industrie seit Jahrzehnten gepflegt wird, nun endlich Widerstand herausfordert, war für ihn ganz unzweifelhaft – und seither widmet er sich diesem Widerstand mit wachsender Hingabe. Das mag von Ferne ein bisschen nach Don Quichotte aussehen, hat aber im Gegenteil alle Vernunft für sich: Warum soll man Geld für etwas bezahlen, das absichtlich weniger werthaltig ist, als es für diesen Preis sein könnte? Und warum soll man die negativen Umweltwirkungen dieser Praxis tolerieren, nur weil es für die Hersteller von Vorteil ist? Schridde weigert sich einfach, all das egal zu finden. Daher geht er das Risiko ein, es sich und anderen unbequem zu machen.
Paulmanns denken selbst
Hanna und Dieter Paulmann, sie Indologin und er Ökonom, hatten ein Zeitarbeitsunternehmen, in dem sie einen ungewöhnlichen Ansatz der Personalführung verfolgten: »Wer führen will«, sagt Dieter Paulmann, »muss hinter seinen Leuten gehen«. Das bringt die unkonventionelle Vertrauenshaltung schon gut zum Ausdruck, mit dem die Deutsche Industrie Service (DIS) nicht nur wirtschaftlich erfolgreich, sondern mehrmals zum besten Arbeitgeber Deutschlands gewählt wurde. Dieter Paulmann trat auch beständig für eine bessere arbeitsrechtliche Position und Absicherung von Zeitarbeitnehmern ein – im Jahr 2012, viele Jahre nachdem er sein Unternehmen verkauft hat, folgte der Gesetzgeber solchen Ideen und reformierte das Zeitarbeitsrecht.
Hanna Paulmann begann derweil, in einem Zwischenbereich zwischen Wissenschaft und spirituellen Traditionen Fragen der Nachhaltigkeit, der Erhaltung traditionalen Wissens und des guten Lebens im Rahmen von Konferenzen und Veröffentlichungen zu verfolgen, die sie finanzierte. Dazu kam Dieter Paulmanns langjährige Faszination für Meeressäuger. Er ist nicht nur ein Experte für das Verhalten von Walen, sondern, wie er glaubhaft versichert, mit einigen auch persönlich befreundet – was ein Engagement in Sachen Nachhaltigkeit nahelegt. Dabei geht es jemandem wie Dieter Paulmann nicht um traditionelle Vorstellungen von Naturschutz. Tiere kann man nur dann schützen, wenn die wirtschaftlichen Voraussetzungen in einer jeweiligen Region zulassen, dass Menschen auf nachhaltige Weise ihren Lebensunterhalt sichern können. Das war in vielen Teilen der Welt so lange der Fall, bis kapitalistische Wirtschaftsformen traditionelle Subsistenzwirtschaften verdrängten – zum Teil mit beachtlichen Erfolgen, was die Erträge und die Vermeidung von Hungersnöten anging, in der Regel aber auf Kosten der kleinen bäuerlichen oder fischenden Versorgungseinheiten, die von den großen Landwirtschafts- und Fischereibetrieben verdrängt wurden, mit den bekannten ökosozialen Folgen. Nachhaltigkeit ist nichts, was man einer nichtnachhaltigen Wirtschaft am Ende der Wertschöpfungskette applizieren kann – sie herrscht dort, wo die Produktion von Lebensmitteln oder Gebrauchsgütern ohne vorgängige Zerstörung von Naturressourcen auskommt.
Das ist der Ansatz der Okeanos-Stiftung, die die Paulmanns 2005 gegründet haben und die sich der Aufgabe widmet, Subsistenzstrukturen dort wiederherzustellen, wo sie industriell zerstört worden sind. Wie so etwas geht? Zum Beispiel so, dass man entdeckt, dass es im pazifischen Raum einen traditionellen Schiffstyp gegeben hat, der gleichermaßen geeignet für Waren- und Personentransport und hochseetüchtig war. Dieser 22 Meter lange Katamaran, Vaka Moana, wird schon lange nicht mehr gebaut, und beinahe war er auch schon vergessen. Paulmann ließ ihn nach alten Zeichnungen und Abbildungen wiederauferstehen, und zwar gleich in sieben Exemplaren, gebaut aus den traditionellen Materialen im traditionellen Layout, lediglich modernisiert durch Solarantriebe, die die Boote bei Flaute bewegen. Diese Schiffe sollen
Weitere Kostenlose Bücher