Selbst ist der Mensch
Wohlbefindens erzeugen wollen – Gefühle, bei denen Schmerzsignale gehemmt und Lustsignale ausgelöst werden.
Der zeitliche Ablauf von Emotionen und Gefühlen
Mein Kollege David Rudrauf untersuchte in jüngster Zeit mit dem Verfahren der Magnetenzephalographie den zeitlichen Ablauf von Emotionen und Gefühlen im menschlichen Gehirn. 9 Die Magnetenzephalographie liefert, was die räumliche Lokalisierung von Aktivitäten im Gehirn angeht, weit weniger genaue Ergebnisse als die funktionelle Magnetresonanztomographie, man kann mit ihrer Hilfe aber bemerkenswert gut abschätzen, welche Zeit bestimmte Vorgänge in einigermaßen großen Gehirnabschnitten in Anspruch nehmen. Genau wegen dieses zeitlichen Aspekts nutzten wir das Verfahren in unseren Studien.
Rudrauf verfolgte im Gehirn den zeitlichen Verlauf der Aktivität, die mit emotionalen und gefühlsmäßigen Reaktionen auf angenehme oder unangenehme visuelle Reize einherging. Von dem Augenblick, als die Reize in der Sehrinde verarbeitet wurden, bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Versuchspersonen erstmals über Gefühle berichteten, vergingen fast 500 Millisekunden, das heißt rund eine halbe Sekunde. Ist das wenig oder viel? Das kommt auf die Sichtweise an. Als »Gehirnzeit« ist es ein ungeheuer langer Zeitraum – man muss bedenken, dass ein Neuron in ungefähr fünf Millisekunden »feuern« kann. Als »bewusste Geisteszeit« dagegen ist es nicht besonders viel. Es liegt zwischen den mehreren Hundert Millisekunden, die wir benötigen, bis wir uns eines wahrgenommenen Musters bewusst werden, und den 700 oder 800 Millisekunden für die Verarbeitung eines Begriffs. Jenseits der Grenze von 500 Millisekunden können Gefühle aber über Sekunden oder Minuten hinweg erhalten bleiben; dabei werden sie offensichtlich insbesondere dann, wenn es sich um – nun ja – lang anhaltende Gefühle handelt, immer wieder in einer Art Nachhall wiederholt.
Spielarten von Emotionen
Versuche, das vollständige Spektrum der menschlichen Emotionen zu beschreiben oder sie zu klassifizieren, sind nicht sonderlich interessant. Die Kriterien für die traditionelle Klassifikation sind fehlerhaft, und jede Kategorieneinteilung für Emotionen kann man kritisieren, weil manche Emotionen ausgeschlossen bleiben und andere fälschlich eingeschlossen werden. »Pi mal Daumen« sollten wir den Begriff Emotion für ein einigermaßen komplexes Aktivitätsprogramm (das mehr als nur ein oder zwei reflexartige Reaktionen umfasst) reservieren, das von einem identifizierbaren Objekt oder Ereignis – einem emotional kompetenten Reiz – ausgelöst wird. Die sogenannten universellen Emotionen (Angst, Wut, Trauer, Glück, Abscheu und Überraschung) erfüllen nach allgemeiner Ansicht diese Kriterien. Wie dem auch sei: Diese Emotionen treten sicher über alle Kulturgrenzen hinweg auf und sind leicht zu erkennen, weil ein Teil ihres Handlungsprogramms – die Gesichtsausdrücke – sehr charakteristisch ist. Solche Emotionen gibt es sogar in Kulturkreisen, die dafür keine eigenen Namen haben. Und die frühzeitige Erkenntnis, dass diese Allgemeingültigkeit nicht nur für Menschen gilt, sondern auch für Tiere, verdanken wir Charles Darwin.
Die allgemeine Verbreitung solcher Ausdrucksformen von Emotionen zeigt, in welchem Umfang das emotionale Handlungsprogramm nicht erlernt ist, sondern automatisch abläuft. Die Emotion kann beispielsweise bei jedem Auftreten abgewandelt werden, so dass sich Intensität oder Dauer der zugehörigen Bewegungen geringfügig ändern. Der grundlegende Programmablauf ist jedoch auf allen körperlichen Ebenen, auf denen er stattfindet, stereotyp: bei den körperlichen Bewegungen, den Veränderungen innerer Organe wie Herz, Lunge, Darm und Haut sowie bei den hormonellen Veränderungen. Die gleiche Emotion kann bei verschiedenen Gelegenheiten unterschiedlich ausfallen, doch die Unterschiede sind nicht so groß, dass die Emotion für das betroffene Individuum selbst oder für andere nicht mehr erkennbar wäre. Sie variiert so, wie die Interpretation von Gershwins »Summertime« von einem Interpreten zum anderen oder auch bei verschiedenen Auftritten desselben Interpreten variieren kann. Die Emotion ist immer noch eindeutig zu erkennen, weil die Grundzüge der Verhaltensweise beibehalten werden.
Die Tatsache, dass Emotionen nicht erlernt werden, sondern automatische, vorhersagbar stabile Handlungsprogramme darstellen, verrät ihre Herkunft aus der natürlichen Selektion und den
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