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Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Titel: Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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ab!«
    Ich griff zum Telefon.
    Uwe hob ab, und augenblicklich knallte die Apokalypse in meinen Hörer. Der Lärm im Hintergrund stanzte Löcher in mein Trommelfell.
    Â»WAS TUST DU DA?«, schrie ich.
    Â»NIX!«, schrie Uwe. »COMPUTER SPIELEN. ZOCKEN.«
    Unglaublich – es schepperte infernalisch, röhrte, knallte.
    Â»MACH DAS AUS, VERFLUCHT!«
    Â»GEHT NICHT! BIN MITTENDRIN, MANN!«
    Â»WARUM IST DAS SO LAUT?«
    Â»NEUE BOXEN! ACHT STÜCK. HAMMERTEILE! BEIM TÜRKEN GEKAUFT! SUPERBILLIGER LADEN UND NUR GUTES ZEUG!«
    Â»MACH AUS!«
    Uwe seufzte, und der Lärm verstummte.
    Â»Uwe«, sagte ich, »was zum Henker spielst du da?«
    Â»Rollercoaster Tycoon.«
    Ich legte den Hörer beiseite und dachte einen Moment nach.
    Ich bin über vierzig, und meine Freunde auch. Uwe ist einer der besten von ihnen, aber er spielt Wirtschaftssimulationen in ohrenbetäubender Lautstärke. Er klatscht einfach stilisierte Autoscooter in ein zweidimensionales Feld, während sich unter der Beschallung die Tapete von den Wänden löste. Das war, als würde man mit Legosteinen spielen, während man in einem startenden Düsentriebwerk hockte. Gut. Egal.
    Â»Wo hast du neulich deinen Billigflug gebucht, als du nach Malta geflogen bist?«
    Â»Im Wohnzimmer.«
    Ich schloss kurz die Augen.
    Â»Also gut: Bei wem hast du neulich den Billigflug gebucht?«
    Â» Easyjet . Aus dem Netz. Sehr billig.«
    Â»Und gut?«
    Â»Ich lebe noch, oder?«
    Ja, dachte ich, während ich auflegte. Aber unter welchen Bedingungen?
    Als ich erneut GOOGLE konsultierte, erschienen zuerst die Links zu Foren, die sich mit Easyjet beschäftigten, sehr viel später gefolgt von der eigentlichen Adresse der Linie. Dortmund–Alicante. 179 Euro, Hin- und Rückflug. Das klang gut.
    Was nicht so gut klang, war der dominant eingeblendete Hinweis, der permanent aufflappte.
    SEIEN SIE SPÄTESTENS 30 MINUTEN VOR ABFLUG HIER!
    WENN NICHT, FLIEGEN WIR OHNE SIE!
    Der Bademeisterton der Ansage gab mir zu denken. Die üblichen »Wir weisen freundlich darauf hin, dass …«-Phrasen gab’s nicht. Eher: »Wenn du vom Rand springst, kannst du gleich duschen gehen, du Arschloch!«
    Aber 179 Euro?
    Ich fand keine Tasche, also schnappte ich mir meinen guten alten Schalenkoffer, zu dem ich gekommen war, als ich die Waltroper Zeitung abonniert und mir dadurch die freie Auswahl aus einem Sortiment hundsordinärer Prämien verschafft hatte.
    Zur Auswahl standen ein Rowenta-Toaster in Grün, zwei Eintrittskarten ins mir völlig suspekte Bobbejaanland und ebenjener Schalenkoffer. Ich erinnere mich noch daran, wie mich die Abenteuerlust packte und ich erwog, drei Abos abzuschließen. Dann könnte ich eine Zeitung lesen, die andere zum Beispiel dem Paviangehege des Dortmunder Tierparks stiften und die dritte zum Basteln benutzen.
    Die Prämien könnte ich verwenden, um mir Toasts zu machen, sie in den Koffer zu tun und Bobbejaan einen Besuch abzustatten. Oder ich würde den Toaster dem Paviangehege stiften und alle Zeitungen im Koffer sammeln, um ihn später im Bobbejaanland neben der verfluchten Bobbejaanbahn abzustellen.
    Man würde mich dann vermutlich fassen, und später würde der Kriposprecher verlauten lassen, dass der Sprengsatz im Grundsatz explosionsfähig gewesen wäre, es aber bei einer Detonation nur leise PUFF! gemacht hätte. Es gelang mir einfach nicht, meine damaligen Gedankengänge so zu rekonstruieren, dass sie einen Sinn ergaben.
    Ich holte den Koffer aus dem Keller. Er war mit Staub bedeckt und wirkte wie die heilige Bundeslade, und in mir scharwenzelte irgendeine Assoziation beim Anblick des Gepäckstücks. Ich kam nicht drauf.
    Am Tag der Abreise rief ich noch einmal Uwe an. Seine Tagessünde bestand diesmal darin, über seine türkischen Lautsprecher Nirvana goes classic zu hören. Er war trotzdem ganz Ohr.
    Â»Uwe: Brauch ich eine Kreditkarte, um einen Leihwagen zu mieten?«
    Â»Das«, sagte Uwe nach einem Moment der Andacht, »hängt davon ab, was du vorhast.«
    Â»Einen Leihwagen mieten«, erwiderte ich.
    Gleichzeitig fiel mir Uwes Hang zur Umständlichkeit ein; eine alte Geschichte prasselte mir ins Hirn, in welcher er und ich Ende der Achtziger in Uwes Wohnzimmer hockten, an dessen Wand über der Couch, Gott steh uns bei, eine Lichtorgel mit drei farbigen Glühbirnen montiert

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