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Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Titel: Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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exquisite Pornosammlung, die ich vor langer Zeit im großen Stil in die Seitenfächer gestopft und vergessen hatte, in den Innenraum des Koffers gequollen, um nun farbenfroh und durchaus prall im Neonlicht der Flughafenhalle zu glänzen.
    Was für ein Wiedersehen.
    Irgendwie schaffte ich es trotzdem nicht, mich über die Wiederentdeckung von fotografischen Perlen wie Gina Wild – ich will die südliche Halbkugel und Was Oma noch zu schätzen wusste: Fummeleien angeschickerter Spätaussiedler zu freuen, da sie hier, im Dunstkreis der Reisenden, sonderbar deplatziert wirkten.
    Der Blick des Schaltertypen traf den meinen. Stahlhart blitzten meine Augen, während meine Lippen unhörbar »Was denn?« formten. Er erwiderte mit einem Blick aus völlig verschleierten Klüsen und einem so gerade eben wahrnehmbaren »Sie sind mir ja ein feiner Schlawiner«.
    Dann erhob er die Stimme.
    Â»Sie haben Übergewicht. Liegt an dem ganzen Fleisch.«
    Ich warf die Hefte in einen Abfalleimer neben dem Schalter und fühlte mich, als trüge ich einen guten Freund zu Grabe. Zwischendurch warf ich immer wieder einen Blick auf die Uhr. Sie schien immer dann wie wahnhaft zu rotieren, wenn ich eine neue Schüppe Papier gewordener Hemmungslosigkeit den Stadtwerken überantwortete.
    Der Koffer wog letztlich 3,1 Kilo. Ich schloss den Reißverschluss.
    Â»Den können Sie mit an Bord nehmen. Gilt als Handgepäck.«
    Ich entriss ihm meine Bordkarte und wandte mich ab, während eine verborgene Stimme meines Selbst den nicht weniger verborgenen Zeigefinger hob, um mich ob meiner Albernheiten im Angesicht der schmelzenden Zeit zu mahnen.
    Meine Uhr zeigte 14:28 Uhr.
    Noch 2 Minuten bis zum Abflug. Hundertzwanzig Sekunden, die darüber entschieden, ob ich in den Süden flog oder an einem weiteren Angestellten von Easyjet abperlte wie Speiseöl an einer Duschkabine.
    Ich hetzte durch die Gänge, wobei mein Koffer, nun lächerlich schwerelos, mich fast überholte. Vermutlich dachten die wankenden Spezialisten, die ich unterwegs traf, dass sie soeben einen Geist gesehen hätten.
    Zwar sahen sie nicht besonders abergläubisch aus in ihren Polyester-Trikots, auf denen ungefähr »SAUFEN SAUFEN SAUFEN, sponsored by the Volksbank Erkenschwick Süd« zu lesen war, wobei das erste Saufen für Saufen stand, das zweite Saufen ein volkstümlicher Begriff für Nahrungsaufnahme war und das dritte Saufen eine Tätigkeit umriss, zu der sie vermutlich ohnehin zu besoffen gewesen wären, aber das hieß ja nichts.
    Jedenfalls schien sicher, dass »The Volksbank« zuerst ihren Sponsoren-Spruch auf die Hemden gedruckt hatte und der Rest des Textes später in irgendeiner wirklich verzweifelten T-Shirt-Druck-Manufaktur aufgebracht worden war.
    Nun: Sie bekreuzigten sich nicht gerade, aber manche der Gruppe schienen im Vorüberbersten zu erbleichen. Klar: Wann sieht man schon mal am helllichten Tage eine fluchende Gestalt in Schwarz, die Schweiß absondert wie ein Gartensprenger und von einem schwebenden Hartschalenkoffer verfolgt wird?
    Wenn ich davon ausging, dass Easyjet wirklich pünktlich abheben würde, hatte ich noch 1 Minute und 13 Sekunden.
    Was dann geschah, habe ich mir vermutlich selbst zuzuschreiben.
    Während ich das Gefühl nicht abschütteln konnte, einen Kondensstreifen hinter mir herzuziehen, von dem ich zudem vermutete, dass er nach einem Aldi-Deo namens EXQUISIT ANANAS-TRAUM duftete, rechnete ich gründlich durch. Eine Minute, das hieß:
    Wegstrecke geschätzte 200 Meter, 30 Sekunden für den Koffer, 34 für mich.
    Der Dame mit dem Schild um den Hals, auf dem vermutlich »WIR FLIEGEN JETZT, VERFLUCHT« stand, meine Bordkarte geben. 4 Sekunden. Diese seltsamen Gänge runter: 10 Sekunden.
    Die Gangway rauf und der Stewardess mit dem erwarteten Schild »DAS WAR ALLERHÖCHSTE EISENBAHN, DU BUMMELNDER PENNER!« die Reste meiner Bordkarte anvertrauen: 4 Sekunden. Ich wollte gerade addieren, da schlug ich ein.
    Sicherheitscheck. Der passte nun überhaupt nicht mehr in mein Reisekonzept.
    Â»Leeren Sie bitte sämtliche Taschen aus und packen Sie es da in die Schale.«
    Ich sackte innerlich zusammen.
    Zuerst schaufelte ich etwas Natron in die Schale vor mir. Natron, prima gegen Sodbrennen, wird üblicherweise zu kleinen Tabletten gepresst. Wenn man sich allerdings vierzig Mal bücken muss, um

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