Selbstmord der Engel
mal.« Carlotta lächelte. »Ich habe richtigen Durst bekommen.«
»Okay, geh etwas trinken.«
Auch in der Praxis befand sich ein Telefon. Es stand nur im Raum nebenan, den sich die Tierärztin als Büro eingerichtet hatte. Die Tür ließ sie offen, damit sie beim Telefonieren jederzeit auf die Leiche schauen konnte.
Es war ein großes Rätsel, und wieder waren sie und Carlotta damit konfrontiert worden. Mittlerweile war sie der Meinung, dass dies kein Zufall sein konnte.
Wie sehr hatte sich ihr Leben in der vergangenen Zeit verändert! Sie konnte sich kaum noch ein normales vorstellen, auch wenn sie nicht ständig mit dem Übersinnlichen oder den Mächten des Bösen konfrontiert wurde. Doch beides war zu einem festen Bestandteil ihres Lebens geworden. So etwas hätte sie sich früher nicht vorstellen können.
Sie versuchte es bei John Sinclair zu Hause.
Nichts. Da hob niemand ab. Es war auch kein Anrufbeantworter eingeschaltet. Entweder war John dienstlich unterwegs oder er genoss das schöne Wetter in irgendeinem Gartenlokal.
Sie besaß auch die Handynummer des Geisterjägers und versuchte es dort. Wieder hatte sie Pech. Das Handy war ausgeschaltet. John wollte keine Störung.
Maxine war nicht verzweifelt, aber schon nachdenklich geworden. Es gab nicht nur John Sinclair, sie konnte auch nebenan bei seinem Freund und Kollegen Suko anrufen. Der würde die späte Störung sicherlich verstehen.
Die Tierärztin hatte sich bereits mit dem Gedanken angefreundet, als sie noch mal einen Blick in das Nebenzimmer warf. Sie redete nicht, ihr stockte der Atem, denn was sie dort mit den eigenen Augen sah, war unglaublich.
Der auf dem Tisch liegende Engel starb endgültig...
***
Ich hielt mich zunächst mit einem Kommentar zurück, aber Glenda hatte mit ihrer Bemerkung genau den Punkt getroffen. Die vom Himmel herabgefallene Gestalt war tatsächlich ein Engel. Ein Mensch mit Flügeln, und dafür gab es nur den einen Ausdruck.
Ich blickte Glenda von der Seite her an und hörte ihre geflüsterte Frage. »Stimmt es nicht?«
»Du kannst Recht haben.«
»Ich habe Recht.«
»Und weiter?«
»Für mich ist er ein Engel, der nicht mehr leben oder existieren wollte. Deshalb hat er sich aus einer bestimmten Höhe hier auf das Boot fallen lassen.«
»Anders gesagt, er hat sich selbst umgebracht.«
»Genau das.«
Sicherlich wartete Glenda auf einen Kommentar, den allerdings hielt ich zurück, weil ich erst meine eigenen Gedanken und Vermutungen ordnen wollte.
»Ja, das kann hinkommen, Glenda. Ich glaube auch, dass er sich getötet hat.«
»Und warum?«
»Keine Ahnung. Ich frage mich nur, warum tat er es gerade hier? Das ist mir ein Rätsel.«
»Ich glaube nicht an einen Zufall.«
Das tat ich auch nicht, sagte es jedoch nicht und erhob mich langsam. Ein erster Rundblick zeigte mir, dass sich etwas radikal verändert hatte.
Glenda und ich befanden uns mit dem toten Engel allein auf der Tanzfläche. Jemand hatte dafür gesorgt, dass die Musik nicht mehr spielte. Es war so ungewöhnlich still geworden, denn die einzigen Geräusche wurden von der Themse erzeugt, die ihre Wellen gegen das Schiff klatschte, als wollte sie der Toten ein letztes Geleit geben.
Die Besucher befanden sich auf dem Boot, das nicht mehr fuhr, sondern mit abgeschwächt laufenden Motoren auf der Stelle lag. Es traute sich niemand, die Tanzfläche zu betreten, die zu einem Ort des Schreckens geworden war, aber die Gäste kamen auch nicht weg. Wer fliehen wollte, der musste ins Wasser springen.
So drückten sie sich so weit wie möglich zurück, aber die Tanzfläche behielten sie auch weiterhin im Auge. Wir fühlten uns auf ihr wie auf einer Freilichtbühne. Dass wir etwas unternehmen mussten, stand fest. Ich wollte meine Kollegen einbinden. Die Leiche musste abgeholt und untersucht werden.
»Lassen Sie mich durch! Machen Sie Platz. Bitte, gehen Sie zur Seite!« Die Stimme des Mannes erreichte unsere Ohren, ohne dass wir den Sprecher selbst zu Gesicht bekamen. Dass er sich seinen Weg bahnte, das war zu sehen, und als Erstes entdeckte ich die helle Kapitänsmütze auf seinem Kopf.
Kurze Zeit später kletterte ein schwergewichtiger Mann auf die Tanzfläche. Er war zudem recht klein, hatte aber sehr breite Schultern. Unter dem Mützenschirm sahen wir in ein fleischiges und nassgeschwitztes Gesicht.
Er schaute auf die Leiche, blieb kurz stehen und holte tief Luft.
»Es ist also wahr«, sagte er zu uns.
»Was meinen Sie?«
Der Mann deutete nach
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