Selbstmord der Engel
wie denn?«
»Indem ich ihr folge. Und ich bin nicht allein, denn ich habe Raniel, den Gerechten, bei mir. Ich denke, dass wir es gemeinsam schaffen können.«
Maxine lag schon eine scharfe Antwort auf der Zunge, das sah ich ihr an, die allerdings verschluckte sie jetzt, und sie begann tatsächlich, nachzudenken. Dabei schaute sie sich um, als hätte sie ihre Wohnung zum ersten Mal betreten. Mit den Handflächen strich sie über das Haar und flüsterte plötzlich: »Ja, irgendwas stimmt hier nicht, John.«
»Zum Beispiel?«
»Du bist hier.«
»Genau.«
»Wie hast du das geschafft?«
Ich beugte mich nach vorn und streckte ihr auch meine Hände entgegen, die sie umfasste und festhielt. Das Zittern hörte nicht auf, doch ihr Gesichtsausdruck entspannte sich leicht.
»Ich sagte ja, dass ich einen starken Partner mitgebracht habe. Er kennt sich aus. Wir werden es gemeinsam angehen. Wir nehmen die Verfolgung auf, Maxine.«
»Und wo wollt ihr hin?«, flüsterte sie.
»In eine andere Welt. In eine andere Dimension, in der wir diese Gestalt stellen können.«
»Atlantis?«
Sie hatte nicht ohne Grund gefragt, denn mit einem Erbe dieses alten Kontinents hatte sie bereits Bekanntschaft gemacht.
»Nein, es ist nicht Atlantis. Ich hoffe, dass wir in die Dimension der Engel gelangen und Carlotta von dort zurückholen.«
Meine Worte hatten ihr gut getan. Ich sah, dass eine Veränderung mit ihr vorging. Die Verzweiflung verschwand. Das Gesicht entspannte sich. Ich entdeckte den Ausdruck der Hoffnung darin, und sogar ein Lächeln kräuselte ihre Lippen. Sie brauchte nur einen Ruck, um aufzustehen. Dann ließ sich Maxine gegen mich fallen.
»Es ist doch gut, dass ihr gekommen seid«, flüsterte sie. »Aber tu mir einen Gefallen.«
»Gern. Und welchen?«
»Lass mich deinen Freund sehen.«
»Nichts dagegen.«
Ich wollte gehen. Maxine hielt mich noch fest. »Nein, nicht direkt zu ihm. Ich könnte aus dem Fenster schauen oder die Tür öffnen. Das würde auch reichen.«
Ich öffnete die Tür. Es war mehr eine Scheibenhälfte. Sie lief auf Rollen, und das recht leicht.
Raniel hatte bemerkt, was geschehen war. Er kam auf uns zu. Langsam und trotzdem stetig. Sein Mantel bewegte sich leicht, und Maxine, die neben mir stand, staunte.
»Welch ein Mensch«, flüsterte sie. »Er sieht aus wie jemand, der in einem Film mitspielen könnte.«
»Er ist auch etwas Besonderes«, stimmte ich zu.
»Und woher kommt er, John? Er sieht so altertümlich aus, aber nicht alt. Man kann großes Vertrauen zu ihm aufbauen, wenn man ihn so sieht. Wirklich.«
»Raniel hat eine besondere Lebensgeschichte hinter sich. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, werde ich sie dir erzählen, aber jetzt muss ich los.«
»Das verstehe ich, John.«
»Man nennt ihn den Gerechten«, erklärte ich noch, »aber es ist nicht die Gerechtigkeit, die wir von unserer irdischen Justiz kennen. Es ist eine andere, seine eigene.«
»Selbstjustiz?«
»Nein, so direkt kann man es nicht nennen.« Ich winkte ab. »Bitte, Max, wir müssen.«
»Ja, das verstehe ich.«
Raniel war stehen geblieben. Er sprach kein Wort zu uns. In der Dunkelheit wirkte er noch düsterer als sonst. Wer ihn nicht kannte, der bekam schon Furcht bei seinem Anblick.
»Kommst du, John?«
»Sofort.«
Maxine Wells umarmte mich zum Abschied. Dann schaute sie mir nach, als ich auf Raniel zuging. Er blickte sie noch mal kurz an, lächelte sogar und nickte. Dann drehte auch er sich um.
Für Raniel und mich gab es keinen anderen Weg. Wir mussten ihn gehen, wenn wir das Vogelmädchen retten wollten...
***
Carlotta hatte etwas erlebt, aber sie wusste nicht genau, was eigentlich hinter ihr lag. Belial hatte sie nie allein gelassen und sie stets fest an der Hand gehalten. Sie waren gegangen. Oder waren sie geschwebt? So genau konnte sie keine Antwort geben. Aber sie erinnerte sich an die scharfen Blitze und den plötzlichen Wind, der sie erreicht hatte. Dann flog sie, nur war dieses Fliegen anders als sonst. Sie schwebte dahin. Alles war anders geworden. Es gab nichts, was sie hätte sehen können, denn sie konnte es nicht mit dem Fliegen vergleichen, was ihr gestattet wurde.
Dieses Gebiet war keine Welt, die sie anfassen konnte. Es gab um sie herum die ungewöhnliche Leere, aber auch den scharfen Geruch, den Belial ausströmte. Als wäre sie von einem Tier begleitet worden.
Es gab keine Stimmen um sie herum, sondern nur eine große Leere, die irgendwann vorbei war. Das passierte nicht schlagartig,
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