Selbstmord der Engel
schüttelte den Kopf. »Ich werde mir dann ein Beispiel an deinen Engeln nehmen und mich ebenfalls umbringen. In deinem Paradies werde ich nicht bleiben.«
Belial, der Leibwächter Luzifer’s, das Tier, oder wie man ihn immer nennen wollte, war fassungslos. Er war es gewohnt, Angst und Schrecken zu verbreiten, aber bei dieser kleinen Gestalt biss er auf Granit. Carlotta zeigte keine Angst. Sie besaß ihren eigenen Willen, und den drückte sie auch durch. Obwohl sie wusste, dass sie hier nicht gewinnen konnte, setzte sie alles auf eine Karte, um ihn aus der Reserve zu locken.
Bevor er etwas unternehmen konnte, spreizte sie bereits die Schwingen und hob ab. Oft genug hatte Carlotta diesen Schnellstart geübt, und auch jetzt gelang er ihr perfekt. Erst als sie schon eine gewisse Höhe erreicht hatte, schaute sie nach unten und sah Belial noch immer an der gleichen Stelle stehen.
Er brüllte etwas. Er war wütend, doch das war ihr egal. Sie wusste genau, dass er sie so schnell nicht töten würde, und sie wollte versuchen, die anderen Engel zu finden, um sie dann gegen ihn aufzuhetzen. Eine Revolution der Engel sozusagen.
Senkrecht war sie in die Höhe gestiegen. Diese Flugweise veränderte sie, denn sie drehte leicht nach links und steuerte eine der nächstgelegenen Wolken an.
Es war ein grauweißes Band, das sich mit seiner Breite über die Kuppe einer dieser kulissenhaften Berge gelegt hatte. Für Carlotta war es kein Problem, ihr Ziel zu erreichen. Mit kräftigen Flügelschlägen gewann sie Distanz, immer damit rechnend, dass Belial sie verfolgte, um sie vor dem Ziel abzufangen.
Diese dichte Schicht rückte näher und näher. Noch einige wenige Schläge mit den Schwingen, und sie tauchte in diese Masse ein, die ihr zuerst vorkam wie kalte Watte und an allen möglichen Stellen ihres Körpers klebte.
Schlagartig war ihr die Sicht genommen worden. Auch mit weit aufgerissenen Augen bekam sie nichts zu sehen, denn das Grau um sie herum war einfach zu dicht.
Den Flug hatte sie gestoppt. Sie schwebte jetzt auf der Stelle. Dabei ließ sich Carlotta langsam nach unten sinken und wartete darauf, dass sie Kontakt mit dem Berg bekam.
Das hätte schon längst der Fall sein müssen. Seltsamerweise trat dies nicht ein, und sie sah auch keinen Verfolger, obwohl sich der Nebel lichtete. Sie hörte Belial ebenfalls nicht und ließ sich deshalb noch weiter nach unten sinken.
Noch immer fanden die ausgestreckten Beine keinen festen Boden. Unter ihr schien die Welt verschwunden zu sein. Es gab nichts, was sie trug. Der Nebel war wie eine Decke, federleicht, ohne fest zu sein.
Zum Glück bekam die Decke immer mehr Lücken, und wenn sie nach unten schaute, war sie bereits in der Lage, ein Ziel zu sehen. Da gab es dann keinen Nebel mehr. Der Blick in die Tiefe zeigte ihr den Grund, aber sie erkannte auch, dass sie nicht auf der Kuppe des Berges landen würde, sondern viel tiefer.
Als die letzten Nebelreste verschwanden, da sank sie dem Grund eines Kraters entgegen. Bisher war seine Öffnung durch den dichten Dunst verdeckt gewesen, das gab sich nun. Es war kein strahlender Sonnenschein, der sie geleitet hätte, aber es war auch nicht dunkel, und so erkannte sie auf dem Grund des Kraters eine völlig andere Welt.
Sie war nicht leer. Ihr Blick fiel auf die Dächer kleiner Hütten. Sie sah dunkle Öffnungen in den Wänden an den Seiten des Kraters, und sie sah, dass sie wohl durch einen Zufall das Zentrum dieses Lügenreichs erreicht hatte.
Hier hielten sich diejenigen auf, die auf die Versprechen des Belial reingefallen waren.
Engel...
Oder auch Menschen?
Keiner schaute hoch, der sich außerhalb der Hütten befand. Wer dort ging, bewegte sich sehr langsam, als läge eine gewaltige Last auf seinen Schultern, die ihn niederdrückte.
Carlotta flog noch langsamer. So folgte sie einem Zwang, denn was sie hier zu sehen bekam, das war völlig neu für sie. Noch vor wenigen Tagen hätte sie nicht geglaubt, dass es so etwas gab. Dieses Gebiet war praktisch abgeteilt worden. Ein wenig erinnerte es sie an das Labor, in dem sie ihre ersten Lebensjahre verbracht hatte.
Belial war vergessen. Der Anblick unter ihr nahm sie viel mehr in Anspruch. Sie sah die Engel, die sich im Freien so schleppend bewegten. Auf ihren Rücken wuchsen die Flügel, was bei ihnen nicht normal war. Sie hatten sich eben den Vorstellungen der Menschen angepasst, denn die Flügel waren vor langer Zeit von den Menschen erfunden worden. Nur so hatten sie sich ein
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