Selbstmord der Engel
sondern langsam, denn sie stellte auch fest, dass sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
Belial befand sich noch immer an ihrer Seite. Auch weiterhin hielt er sie fest, und sie hörte seine Stimme, die beinahe von einem Kichern unterlegt war.
»Du kannst jetzt deine Augen öffnen!«
»Ja«, sagte das Vogelmädchen nur, obwohl es die Augen bereits offen gehalten hatte.
Es lag an der Umgebung, die nicht mehr dicht und von Wolken oder durch Nebel verhangen war. Jedenfalls hatte sie den Eindruck gehabt. Als sie schließlich schaute, da wurden ihre Augen groß, auch wenn sie nicht viel erkannte.
Die Frage »Wo bin ich hier?« stellte sich Carlotta nicht. Sie wusste, dass Belial sie an einen Ort geschafft hatte, der ihr unbekannt war. Sie konnte nicht genau sagen, wo er lag. Sie wusste nicht mal, ob sie noch auf der normalen Welt zu Hause war und war auch nicht in der Lage, sich auszurechnen, ob sie in Richtung der Gestirne geflogen waren, sie nahm die neue Umgebung einfach hin, weil es sonst keine Alternative gab. Dass sie lebte, war wichtig, und dass sie atmen konnte ebenso.
Es war die Welt des Nebels. Im ersten Moment nur stellte sie den Vergleich an, der auch irgendwie stimmte, doch es war nicht mit dem Nebel zu vergleichen, den sie von Schottland her kannte. Keine dichten Küstenschwaden, auch nicht die grauen Tücher, die oft das gesamte Hinterland bedeckten und von den zahlreichen Gewässern hochstiegen. Dieser Nebel besaß andere Formen. Er war am ehesten mit dem aus den Bergen zu vergleichen, wenn eine Nacht vergangen war und sich das Licht des Tages ausgebreitet hatte. Da lagen die breiten und langen Schwaden oft genug in den Tälern fest. Andere wiederum waren in die Höhe gestiegen und krochen an den Hängen der Berge hoch und blieben oft sehr lange dort liegen.
So auch hier.
Sie verteilten sich. Fahnen, die eine Landschaft zeichneten, über die das Vogelmädchen auch nachdachte. Carlotta kannte sich eigentlich aus, weil sie oft geflogen war und sich die Welt von oben her angesehen hatte. Aber eine derartige Landschaft kannte sie nicht. Die war ihr fremd, und sie versuchte, einen Eindruck davon zu gewinnen. Die Berge, die Täler, die Flächen und Hänge, das alles sah sie als normal an, und sie störte sich auch nicht an den zumeist grauen Farben, aber trotzdem war das hier anders. Das spürte Carlotta. Das sagte ihr das Gefühl. Sie war ein sehr intelligentes Mädchen. Man hatte sie schon damals in der Klinik mit Wissen vollgestopft, und sie hatte bei ihrer Ziehmutter Maxine immer dazugelernt. Jetzt hätte sie durchaus die Umgebung als normale Bergwelt beschreiben können.
Sie tat es nicht. Da gab es etwas in ihr, das sich dagegen sträubte. Sie bildete sich dies nicht ein, und sie dachte intensiv darüber nach, was es sein könnte.
Kulissenhaft...
Ja, das war es.
Nicht richtig echt. Mehr wie eine Kulisse, die von Handwerkern geschaffen war.
So musste es sein. Das war keine echte Welt. Die hätte man auch als Dekoration ins Schaufenster stellen können.
Die ganze Zeit über brannte bereits eine Frage auf ihrer Zunge. Jetzt erst rückte sie damit heraus, und sie schaute Belial dabei von der Seite her an.
»Wo sind wir hier?«
»Im Paradies.«
Er hatte nicht mal überlegt. Glatt war die Antwort ihm über die Lippen gekommen, und das Vogelmädchen überlegte, ob sie es glauben sollte.
Belial musste lachen. »Du glaubst mir nicht?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe mir immer andere Vorstellungen von einem Paradies gemacht, wobei ich zugeben muss, dass ich erst vor kurzer Zeit davon erfahren habe.«
»Was hat man dir denn gesagt?«
»Nicht viel. Man sprach von schönen Dingen. Vor allem davon, dass es den Seelen der Menschen gut geht. Dass alle Qualen oder aller irdischer Hader vorbei sind und die Seele des Menschen endlich die Glückseligkeit erleben kann.«
»Das ist es doch hier!«
»Wieso?«
»Die ewige Seligkeit.«
»Deine Seligkeit.«
Belial verzog sein Gesicht, sodass es noch hässlicher wurde. »Ich habe den Engeln die Seligkeit versprochen. Ich habe denen, die nicht wussten, wohin sie gehörten, eine Heimat versprochen. Ich habe ihnen mein Zeichen gegeben, und jetzt finden sie sich in diesem Paradies wieder. Es gefällt ihnen.«
Carlotta schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie heftig. »Es gefällt ihnen nicht. Es kann ihnen gar nicht gefallen. Nicht diese Welt. Du hast sie belogen.«
»Nein, das habe ich nicht!«
Carlotta blieb bei ihrer Meinung. Wenn es darauf
Weitere Kostenlose Bücher