Selbstmord der Engel
lang.«
»Hoffentlich«, flüsterte Glenda nur...
***
Maxine Wells war am Ende. Sie fühlte sich als Versagerin. Ja, sie hatte auf der ganzen Linie versagt, denn Carlotta war ihr einfach so und widerstandslos genommen worden.
So etwas hatte die Tierärztin noch nie erlebt. Zwar war ihr Leben nicht nur Kampf gewesen, aber sie hatte sich immer durchsetzen können und auch müssen. Selbst als sie ihre Schwester damals als Rattenkönigin erlebt hatte, war es ihr nicht so schlecht ergangen. Sie fühlte sich wie ein Boxer, der zu Boden geschlagen worden war.
Sie war in ihre Wohnung zurückgelaufen. Im Wohnzimmer hockte sie mit angezogenen Knien in einem Sessel und hielt ihre Hände um die Schienbeine gelegt.
Die Gedanken drehten sich einzig und allein um diese schreckliche Erscheinung, die sich Belial nannte. John Sinclair hatte ihr den Hinweis gegeben, doch damit konnte sie nichts anfangen. Sie wollte es auch nicht. Sie wollte nichts mehr. Nur mit sich allein sein, und sie wollte vor allen Dingen keinen Menschen sehen, denn sie war eine Versagerin, das stand für sie einfach fest.
Von ihrem Platz im Sessel aus war sie in der Lage, durch das Fenster in den Garten zu schauen. Es gab dort die leere Rasenfläche, und sie blieb zudem leer. Da gab es keine Bewegung, einfach nichts. Nur der Wind strich ab und zu über die Spitzen der Halme hinweg.
Du bist eine Versagerin. Eine Niete! Du hättest kämpfen müssen! Versuchen, den Unhold zu stoppen und...
Die Gedanken brachen ab. Sie hatte es ja versucht. Sie war auf die Gestalt zugelaufen, aber es war ihr nicht möglich gewesen, Carlotta zu halten. Aus diesem Grund trafen sie die eigenen Vorwürfe hart wie Peitschenschläge, die immer tiefer in ihre Psyche hineinsägten.
Den Druck auf der Brust wurde sie einfach nicht los. Er war wie eine Folter oder wie eine Abrechnung für ihr Vergehen, und sie konnte auch nichts dagegen unternehmen, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten. Es war bereits jetzt die Trauer um ein verlorenes Leben, das sie nicht hatte beschützen können.
Mitten in ihre trüben und depressiven Gedanken hinein klingelte das Telefon. Sie hörte es, aber sie schrak nicht mal zusammen. Sie ging nicht hin, sie wollte mit keinem Menschen sprechen, weil sie sich für ihr Versagen einfach schämte. Dieser Gedanke hatte sich so fest in ihrem Kopf festgesetzt, dass sie ihn einfach nicht loswurde. Neugierde gab es bei ihr nicht mehr. Zwar dachte sie flüchtig an John Sinclair, aber sie erinnerte sich auch daran, dass er es nicht geschafft hatte, ihr zu helfen. Der Trost am Telefon hatte nicht gereicht.
Das Klingeln verstummte. Wieder trat Stille ein, die sie schon kannte.
Sie hielt den Blick weiterhin gegen das Fenster gerichtet, um einen Teil des Rasens hinter dem Haus zu beobachten. Dort hatte sie Carlotta zum letzten Mal gesehen, zusammen mit diesem grauenvollen nackten Geschöpf, dessen Hand sie sogar umfasst hatte. Beide waren ein kurzes Stück gegangen, um dann ihre Flügel zu bewegen. Sie waren wie ein Paar in den dunklen Nachthimmel gestiegen, und genau das machte Maxine auch so fertig. Dieses letzte Bild würde nie mehr aus ihrem Gedächtnis verschwinden.
Wieder der Blick zum Fenster – und das heftige Zusammenzucken, denn vor dem Haus war etwas passiert.
Auf dem Rasen, in der Dunkelheit. Sie hatte sich die Bewegung nicht eingebildet, doch sie war nicht in der Lage, etwas Genaues auszumachen. Das konnten Menschen sein, jedenfalls den Umrissen nach. Für einen winzigen Moment schnellte die Hoffnung in ihr hoch. Vielleicht waren Belial und Carlotta zurückgekehrt...
Nein, diejenigen Personen, die auf der Rasenfläche standen, sahen anders aus. Carlotta war kleiner als sie, und sie sah ungefähr zwei gleich große Menschen.
Das Fenster war geschlossen. So konnte sie nur ihren Gesten entnehmen, was sie taten. Noch sprachen sie miteinander und hatten sich zu keiner Aktion entschlossen, aber einer von ihnen löste sich und ging auf das Haus zu. Nicht nur das, er steuerte sogar das große Wohnzimmerfenster an, das mit einer Tür versehen war, die zur Terrasse führte.
Maxine blieb mit angezogenen Beinen sitzen wie eine Gefangene der eigenen Angst. Was würde der Mann tun? Konnte er sie sehen? Eigentlich nicht. Es war zwar nicht stockdunkel im Raum, aber die Lichtquelle befand sich an der gegenüberliegenden Seite. Ihr Schein reichte nicht mal bis in die Mitte.
Der Mann hatte die Scheibe erreicht. Der andere war auf dem Rasen zurückgeblieben.
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