Selbstmord der Engel
verlassen?«
»Es ist kein Paradies!«, schrie Carlotta. »Es ist die Hölle!«
»Wer sagt das?«
»Ich! Du lügst!«
»Nein, du bist die Lügnerin! Ich spreche die Wahrheit. Meine eigene Wahrheit.«
Das Vogelmädchen sagte nichts. Es war schon komisch, aber Carlotta glaubte ihm. Ja, es war seine Wahrheit. Er hatte die Lüge zur Wahrheit erhoben. Hier galt einzig und allein sein Wort, und die stehenden Engel kamen ihr vor, als hätten sie sich geduckt.
»Ich werde es dir beweisen!«, flüsterte Belial. »Ich werde dir zeigen, wie mächtig ich bin und wie stark ich meine Welt beherrsche.«
»Deine Lügenwelt.«
»Ich habe sie aufgebaut!«
Carlotta überwand ihre Furcht und streckte ihm die Hand entgegen. »Ja, das hast du, Belial. Aber du hast sie auf Lügen errichtet, und sie werden zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Das kann ich dir versprechen. Nichts wird halten, auch deine Welt nicht. Sie ist verflucht, verstehst du? Die Mächte der Finsternis haben sie verflucht, indem sie sie aufbauten.«
Er hatte Spaß, und wieder gellte sein Lachen durch das Tal. »Du hast irgendwo schon Recht. Ich habe sie aufgebaut, ich kann sie zerstören und als Einziger Zurückbleiben. Ich kann sie in sich zusammenfallen lassen, denn hier bin ich ihr Herr. Und weil ich das bin, kann ich auch den Zeitpunkt bestimmen.«
»Wann wird es sein?«
»Bald...?« Er kicherte. »Oder erst später. Vielleicht auch nie. Alles hängt von mir ab. Ich kann dir sogar den Ausgang zeigen, wenn du willst. Zwei Engel haben es geschafft. Mehr werden dazu nicht kommen, und wenn du meine Welt verlässt, bist du tot...«
Carlotta hatte die Drohung genau verstanden, und sie wusste auch, dass sie nicht aus leeren Worten bestand. Der Engel der Lügen war abgebrüht genug, um alles so zu richten, wie es ihm passte. Sie wollte ihn nicht noch weiter provozieren und hielt sich deshalb zurück.
Aber er war nicht gekommen, um ebenfalls zu stoppen. Er wollte etwas beweisen. Er war ein uralter Dämon, der nicht nur über das Vogelmädchen Carlotta herrschte, sondern auch über seine Engel.
»Hört her!«, sprach er sie an. »Hört mir genau zu. Ich habe euch eine Heimat gegeben und euch das neue Paradies geschenkt. Ich wollte, dass ihr euch würdig zeigt und euch nicht durch irgendwelche Worte gegen mich aufhetzen lasst. Ich kann euch töten, und ich kann euch am Leben lassen, und das werde ich jetzt beweisen.« Er streckte dreimal seinen rechten Arm zuckend nach vorn.
Drei Engel hatte er ausgesucht.
»Ihr kommt näher und stellt euch vor Carlotta!«
Sie gehorchten wie Automaten, die den Strom bekommen hatten. Sie gingen, und in ihren Gesichtern bewegte sich nichts.
Carlotta beobachtete sie genau. Sie war intelligent genug, um sich vorstellen zu können, was geschehen würde. Die drei Engel standen unter der Knute des Belial. Sie würden alles tun. Für ihn morden, ihn anbeten, ihn...
»Es reicht!«
Sie stoppten!
Carlotta schaute sie aus der Nähe an. Einer war ganz nackt. Sein Körper sah aus wie vom Fell einer Maus bedeckt. Er war völlig haarlos und besaß auch kein Geschlechtsteil.
Die anderen beiden Engel wirkten wie halb verhungert. Leere Blicke trafen das Vogelmädchen, das zitternd abwartete, was in den nächsten Sekunden passieren würde.
Noch nichts...
Belial wartete ab. Er bewegte sich auf dem Dach wie ein kleiner Teufel, der lange gefangen gewesen war und endlich die Freiheit erlangt hatte. Immer wieder rieb er seine Hände gegeneinander, und aus dem Maul drang ein Kichern.
Wieder zuckten seine Hände vor. Sie wiesen auf die beiden halb verhungerten Engel.
»Wollt ihr sterben?«
»Ja!«
»Wollt ihr für mich sterben?«
»Wir wollen!«
»Dann sterbt!«
Carlotta hatte schon darauf gewartet, aber jetzt passierte es wirklich. Aus den Spitzen der gespreizten Finger huschten die Blitze hervor. Sie waren grell, sie waren schnell – und sie trafen beide Ziele gleichzeitig.
Es war kein Schrei zu hören, als die Köpfe der Engel gespaltet wurden. Alle bekamen es mit, auch Carlotta. Sie besonders, da die Gestalten direkt vor ihr standen.
Die Köpfe der Wesen zerbrachen in zwei Hälften. Es war kein Laut zu hören, die beiden Engel vergingen lautlos. Das Auseinanderfallen der Köpfe bot ein schreckliches Bild, und es war auch deshalb so schlimm, weil Carlotta keinen Laut hörte.
Kein Knacken der Knochen, kein Brechen. Es war und blieb still. Die Schnitte, die auch von Äxten hätten stammen können, setzten sich fort bis zu den Hälsen,
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