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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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fördern.
    Bekanntlich hatte der Gleichberechtigungsartikel im Grundgesetz der Bundesrepublik auch nach über vierzig Jahren nicht die erforderliche Wirkung erzielt: In der Realität blieb die westdeutsche Gesellschaft von der Gleichstellung jedenfalls weit entfernt. Wir vier Ministerinnen vertraten deshalb die Auffassung, Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes müsse um ein Gebot der Frauenförderung – ähnlich wie in der DDR – ergänzt werden. Wir schlugen verschiedene Formulierungen vor, allesamt scheiterten sie am Widerstand der CDU, der CSU und der Liberalen. Für die Annahme der Verfassungsergänzung brauchten wir aber eine Zweidrittelmehrheit. Mehr als ein Jahr formulierten und diskutierten wir, bis eines Tages ein erstaunlicher Gesinnungswechsel bei unseren christlichen Politikern und Politikerinnen eintrat. Plötzlich signalisierten sie, einem Gleichstellungsgebot nicht mehr vollends abgeneigt zu sein. Ein weiterer Vorschlag sei genehm. Noch einmal wurde um jedes Wort gefeilscht. Schließlich konnten wir erreichen, dass Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes seit 1994 folgendermaßen lautet: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
    Bundeskanzler Helmut Kohl persönlich hatte ein Machtwort gesprochen: Vor dem Hintergrund, dass im Jahr 1994 Bundestagswahlen anstanden und über fünfzig Prozent der Wahlberechtigten Frauen sind, hatte er seine Partei aufgefordert, ein Gebot aktiver Gleichstellung zu akzeptieren.
    Wir vier Ministerinnen hatten noch weitere Grundgesetzergänzungen vorgeschlagen, zum Beispiel bei Artikel 6, Absatz 1: Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
    Wir beabsichtigten, auch andere Lebensgemeinschaften zu erfassen, den Artikel also an die tatsächlichen Lebensverhältnisse anzupassen. Diese und weitere Vorschläge wiesen die konservativen Parteien erfolgreich ab.
    Die Ergänzung des Artikels 3 führte zur Schaffung zahlreicher Gleichstellungsgesetze auf Bundes– und Länderebene. Nach meiner Überzeugung muss das nächste große Ziel die Verabschiedung eines Gesetzes sein, das eine Frauenquote in Vorständen, Aufsichtsräten und anderen Führungspositionen in Wirtschaftsunternehmen verbindlich vorgibt. Die Einführung der gesetzlich vorgeschriebenen Quote würde nicht mehr und nicht weniger bedeuten, als dass unser Staat endlich, fast zwanzig Jahre nach seiner Einführung, dem Gleichstellungsgebot in Artikel 3, Absatz 2, Satz 2 unseres Grundgesetzes folgt.
    Gleich zu Beginn meiner Senatorinnenzeit in Hamburg hatte ich mich vor die versammelte Belegschaft gestellt und erklärt: »Falls Sie das Gerücht gehört haben, ich sei eine Frau, die Frauen fördert, darf ich Sie beruhigen: Es stimmt. Ich habe mein Leben lang etwas für Frauen getan – Sie können zu Recht von mir erwarten, dass ich es weiterhin tue. Das weibliche Geschlecht ist dabei allerdings noch keine Qualifikation. Wenn Frauen aber die erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, müssen sie eine Chance erhalten.«
    Kurz darauf kam mir zu Ohren, dass unter männlichen Kollegen der Spruch kursierte: »Ich glaube, ich mache eine Geschlechtsumwandlung ; sonst komme ich hier ja nicht mehr weiter.« Als ich das einmal hinter meinem Rücken hörte, drehte ich mich um und sagte freundlich lächelnd: »Wenn Sie das Bedürfnis haben und sich der Tortur unterziehen wollen – bitte schön. Aber ob Sie dann befördert werden, ist eine ganz andere Frage.« Man muss einstecken und austeilen können in solch einer Position. Zumal, wenn man Neuerungen wie die verstärkte Förderung von Frauen in einer Behörde durchsetzen möchte. Auch grobe Frechheiten und Geschmacklosigkeiten kann ich zum Glück sportlich nehmen. Alles, was unsachlich ist, erreicht mich nicht in meinem Innern.
    Ich förderte die Gleichstellung in meiner Behörde unter anderem dadurch, dass ich Frauen gezielt zur Bewerbung auffordern ließ, wenn es darum ging, Führungsposten zu besetzen. Meine Beamten lernten schnell, dass sie mir einen Stapel mit Unterlagen ausschließlich männlicher Bewerber gar nicht erst vorzulegen brauchten. Sie wussten: Ich würde sie wieder wegschicken und die Bewerbungen erst prüfen, wenn zumindest eine bis zwei Bewerberinnen darunter waren. Ein von mir sehr geschätzter leitender Beamter betrat mein Zimmer manches Mal ganz geknickt und begann das Gespräch

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