Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
eigene Kosten.
Der Strafvollzug war in Hamburg seit langem ein Krisengebiet. In den Gefängnissen des Stadtstaates gab es Krawalle, Geiselnahmen, Ausbrüche. Im Jahr vor meinem Amtsantritt hatte es in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, in der 530 Gefangene einsaßen, eine tagelange Revolte gegeben, bei der Häftlinge zeitweise die Kontrolle über Teile der Anlage übernommen hatten. Jeder, der in Hamburg Justizsenator wird, weiß: Am Strafvollzug kannst du scheitern. Selbst ich Unerfahrene war mir dessen bewusst. Trotzdem bereitete mir der Auftritt eines hohen Beamten wenige Tage nach meiner Amtseinführung keine Freude. Auf dem Flur der Behörde begegnete ich dem finster blickenden Herrn ; wir sahen uns zum ersten Mal, er grüßte nicht. Ich stellte mich vor mit Namen und Amtsbezeichnung, er nannte nur seinen Namen. »Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte ich. »Darf ich fragen, wofür Sie zuständig sind?« – »Für die Sicherheit im Strafvollzug.« Kleine Pause. Dann fuhr er fort: »Bisher ist noch jeder Justizsenator über den Strafvollzug gefallen.« Aha, dachte ich bei mir, so was nennt man vertrauensbildende Maßnahmen. Doch nach außen hin blieb ich freundlich, wünschte lächelnd einen guten Tag.
Eine meiner ersten Amtshandlungen war die Anweisung, mich sofort zu informieren, wenn im Strafvollzug etwas passierte. Meistens war das am Wochenende der Fall, wenn weniger Bedienstete in den Gefängnissen waren und die Gefangenen weniger zu tun hatten als in der Woche. Dann gab es Schlägereien und noch schlimmere Vorkommnisse. Mehr als einmal nahm sich ein Untersuchungshäftling infolge des sogenannten Haftschocks das Leben. Wenn die Gefängnisleitung wusste, dass jemand suizidgefährdet war, wurde er besonders intensiv beaufsichtigt. Diejenigen, deren Suizid gelang, waren fast immer Menschen, bei denen die Bediensteten keinen solchen Hinweis hatten.
Wenn etwas passierte, riefen die Gefangenen üblicherweise erst einmal die Presse an. Die Hamburger Häftlinge hatten die Erlaubnis, auf eigene Kosten Kartentelefone zu nutzen. Waren die Medien informiert, erschwerte dies die Ermittlungen der Polizei, und wir hatten kaum eine Chance, die Vorkommnisse objektiv darzustellen. Aus diesen Gründen, aber vor allem auch, weil ich immer auf dem aktuellen Stand sein wollte, bestand ich darauf, zu jeder Tages– und Nachtzeit über Vorkommnisse unterrichtet zu werden. Dann fuhr ich sofort an den Ort des Geschehens, um mir ein Bild zu machen und auskunftsfähig zu sein. In schweren Fällen rief ich meine Beamten zusammen, wir fuhren gemeinsam hin, berieten uns und veranstalteten – wenn am Wochenende etwas passiert war, gleich am Montag Früh um acht – ein Pressefrühstück mit ausgewählten Journalisten. Wir informierten sie und versprachen ihnen, sie auf dem Laufenden zu halten, baten jedoch im Gegenzug, noch nicht zu berichten, bis die Polizei in Erfahrung gebracht hatte, was wirklich passiert war. Diese vertrauliche Zusammenarbeit mit der Presse hat immer funktioniert.
Sehr früh in meiner ersten Hamburger Amtszeit reiste ich mit einer Delegation für vierzehn Tage nach Japan. Das passte mir nicht sehr gut, denn zu Hause gab es genug zu tun. Aber mein Amtsvorgänger hatte die Einladung der Japaner angenommen, und nun konnten wir nicht wieder absagen. Inhaltlich war das Projekt sehr interessant, es ging darum, sich über das deutsche und das japanische Rechtssystem und den Alltag in der Justiz auszutauschen. Japan hatte einst einen großen Teil des deutschen Rechts übernommen. Offizieller Gastgeber war Hamburgs Partnerstadt Osaka. Hamburg ist auch der Sitz der Deutsch-Japanischen Juristenvereinigung, der ich schon als Richterin beigetreten war.
Natürlich hatten die Japaner den Justizsenator nebst Gattin eingeladen. Nun kam ich und hatte keinen Gatten, dafür aber eine Tochter, die sehr gern reiste: Andrea. Als ich ihr vorschlug, mich zu begleiten, war sie sofort einverstanden. Sie war damals 22 Jahre alt. Da ich selbstverständlich alle Kosten, die nicht die Gastgeber übernahmen, selbst trug, bekam Andrea ein Flugticket für die »Holzklasse«. Mein Generalstaatsanwalt und ich hatten Tickets für die Business-Class gestellt bekommen, Andrea und die Beamten saßen hinten in der Touristenklasse. Nach einigen Stunden kam Andrea nach vorn und sagte: »Mama, jetzt möchte ich auch mal auf Leder sitzen und meine Beine ausstrecken können.« So tauschten wir für eine Weile die Plätze.
In Japan hatte ich
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