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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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inakzeptabel.
3.  Wer einen Vorschlag machen möchte, wendet sich an seinen direkten Vorgesetzten oder, je nach Unternehmensstruktur, an den zuständigen Sachbearbeiter oder Abteilungsleiter.
    Was auch vorkommt – und leider keinen Erfolg zeitigt –, sind Vorschläge unter dem Motto »Ich habe noch einmal nachgedacht«. Zum Beispiel die folgende Situation: Am Ende einer Besprechung mit seinem Team gibt der Abteilungsleiter die nächsten Schritte eines Projekts vor. Alle Mitarbeiter kehren an ihre Plätze zurück, zwei Stunden später wendet sich eine Mitarbeiterin erneut an den Chef: »Ich habe noch einmal nachgedacht. Wäre es nicht besser, wenn …?« Diese Mitarbeiterin wird wohl keine Karriere in dem Unternehmen machen. Ist eine Entscheidung gefallen, kommen Gegenvorschläge zu spät. Regeln wie diese erscheinen uns Frauen manchmal absurd. Aber wer am Ende zu den Gewinnern gehören will, muss sich daran halten. Die Regeln ändern kann nur, wer die Macht dazu erlangt hat.

    Kein Stress, keine Termine – kein gutes Gefühl: 1993 wurde ich zum ersten Mal im Leben arbeitslos. Ein Vierteljahr lang saß ich zu Hause, räumte die Wohnung auf, brachte den Garten auf Vorderfrau, traf mich mit Freunden, widmete mich meinen ehrenamtlichen Tätigkeiten. Vor allem aber grübelte ich: Was soll ich jetzt machen?
    Wegen eines Fehlers, den die Hamburger CDU bei ihrer Kandidatenaufstellung für die Bürgerschaftswahlen 1991 gemacht hatte, erklärte das hamburgische Verfassungsgericht jene Wahlen für ungültig. Es gab Neuwahlen, die SPD verlor die absolute Mehrheit und koalierte mit der neugebildeten Statt-Partei, welche das Justizressort für sich beanspruchte. Henning Voscherau, der Erster Bürgermeister blieb, meinte zu mir, es sei doch selbstverständlich, dass ich in den Richterberuf zurückkehrte. Aber mit mir war etwas passiert, das ich nie für möglich gehalten hätte: Innerhalb von zwei Jahren hatte sich mein Bewusstsein so verändert, dass ich wie eine Politikerin dachte, nicht mehr wie eine Richterin. Ich wusste, in den Beruf würde ich nicht mehr zurückfinden. Salopp formuliert: Von einer Denkerin war ich zur Macherin geworden. Eine Zivilrichterin wendet das bestehende Gesetz an, versucht Menschen, die sich streiten, zu verstehen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Eine Rechtspolitikerin beteiligt sich an der Gesetzgebung und greift mit Rat und vor allem mit Tat in die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens ein.
    Während ich noch grübelte, was aus mir werden sollte, kam eine Anfrage aus Berlin: Ob ich mir vorstellen könne, die Nachfolgerin von Jutta Limbach zu werden? Meine Freundin Jutta Limbach war bis 1994 Berliner Justizsenatorin, danach wurde sie Richterin und schließlich Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. In Berlin regierte eine große Koalition aus CDU und SPD, Eberhard Diepgen (CDU) war Regierender Bürgermeister. Die Nachfolge von Jutta Limbach sollte eine SPD-Frau übernehmen, die sich in Berlin nicht fand. Deshalb fragten Berliner Genossen Hans-Jochen Vogel, und er schlug mich vor. Ein Komitee aus Berlin reiste nach Hamburg – um sich kurioserweise nicht zuerst mit mir zu treffen, sondern Erkundigungen über mich beim Ersten Bürgermeister einzuholen. Erst nachdem Dr. Voscherau mich als akzeptabel beschrieben hatte, luden die Berliner mich zum Gespräch ein.
    Viele Gründe sprachen dagegen, dass ich nach Berlin ging. Die Legislaturperiode dauerte dort nur noch eineinhalb Jahre. Im letzten Jahr vor einer Wahl kann man als Politiker kaum etwas in Gang bringen, sodass mir nur ein halbes Jahr blieb, um aktiv politisch zu wirken. Zweitens kannte ich außer einer befreundeten Anwältin und deren Familie keinen Menschen in Berlin. Drittens kannte ich die Berliner SPD nicht. Viertens war ich nicht mit den politischen Problemen der Stadt vertraut. Fünftens lebte ich sehr gern in meiner Heimatstadt, ich fühlte mich durch und durch als Hamburgerin. Andererseits hatte ich in Hamburg nichts zu tun, und ich wusste natürlich, dass Berlin eine großartige Stadt ist. Gerade damals, keine vier Jahre nach der Wiedervereinigung und lange, bevor Berlin Regierungssitz wurde, herrschte dort eine faszinierende Dynamik. So bat ich meine Berliner Freundin um Rat und erwartete, dass sie mir abraten würde. Sie schrieb mir einen langen Brief mit vielen Argumenten für und wider meinen Einstieg in die Berliner Politik. Ihr Fazit lautete: »Wenn ich bedenke, was du in Berlin bewirken könntest, dann rate ich dir:

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