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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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volles Programm, wir unternahmen zahlreiche Besichtigungen – unter anderem besuchten wir das größte Gefängnis des Landes – und hatten lange, intensive Besprechungen. Viel Zeit verbrachten wir mit dem japanischen Justizminister und anderen sehr hohen Amtsinhabern, was eine große Ehre für uns war. In Japan ist es üblich, dass die Obersten unter sich bleiben, das heißt, der Minister und andere sprachen nur mit mir, vielleicht noch einige Sätze mit dem Generalstaatsanwalt. Unsere Beamten und andere Mitglieder unserer Delegation nahmen sie nicht zur Kenntnis. Dadurch war ich ununterbrochen gefordert.
    Wenn wir abends freibekamen, um uns im Hotelzimmer fürs Essen zurechtzumachen, war ich ziemlich geschafft und ließ mich erst einmal aufs Bett fallen. Andrea, mit der ich ein Doppelzimmer teilte, berichtete mir dann ihre Erlebnisse des Tages. Eine Person ohne Rang wie sie durfte nach japanischem Verständnis bei keinem offiziellen Programmpunkt dabei sein. Aber auch für Andrea war jede Minute durchgeplant, die Gastgeber hatten ihr ein individuelles Touristenprogramm erstellt, mit einer jungen Juristin als Reiseleiterin. Vom Land sah meine Tochter viel mehr als ich. Einmal durfte sie mitkommen zu einem »inoffiziellen« Abendessen, einmal lud die japanische Regierung uns in ein Badehaus im Gebirge ein. Da badeten wir in heißen Quellen, wurden massiert und gesalbt – wunderbar. Die ganze Reise war ein schönes, beeindruckendes und bereicherndes Erlebnis.
    Ebenfalls sehr eindrucksvoll fand ich die folgende Episode in Japan: Eines späten Abends klopfte einer meiner leitenden Beamten an meine Tür. Wie immer auf der Reise hatten die Gastgeber das beste Hotel am Platz für uns ausgewählt, und ich hatte das beste Zimmer. Andrea hatte ausnahmsweise ein Zimmer für sich.
    »Frau Senatorin, wir würden gern noch einen Schluck Wein mit Ihnen trinken hier in Ihrer Märchensuite«, schlug der Beamte vor. »Außerdem wollen wir Pornos gucken.«
    »Wie bitte?«
    »Ja, Sie haben hier sechs Fernseher rundherum, und auf jedem können Sie Pornos gucken. Wissen Sie das nicht?«
    »Nein, das wusste ich, ehrlich gesagt, noch nicht«, sagte ich und lachte – aber nicht sehr überzeugt. Bis heute weiß ich nicht recht, ob ich den Scherz wirklich lustig fand. Aber in der folgenden Zeit hieß es bei uns in der Behörde, wenn wir Termine planten, immer wieder: »Ja, und dann wollen wir Pornos gucken!« Es wurde zum Running Gag, und bald hatte auch ich meinen Spaß daran.

    Als Hamburger Justizsenatorin wurde ich 1992 in die gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat berufen, deren Aufgabe es war, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland infolge der Wiedervereinigung zu überarbeiten und, wo nötig, zu reformieren. Aus fast allen Ländern gehörten die Justizminister der Kommission an, darunter vier SPD-Ministerinnen: Jutta Limbach (damals Justizsenatorin in Berlin), Christine Hohmann-Dennhardt (damals hessische Justizsenatorin), Heidi Merk (damals niedersächsische Justizministerin) und ich. Mein bewundernswerter Freund Hans-Jochen Vogel, ehemaliger SPD-Bundesvorsitzender und Bundesjustizminister, leitete die SPD-Gruppe der Verfassungskommission und verteilte die Aufgaben. Mir und meinen drei Ministerkolleginnen dachte er die Aufgabe zu, Artikel 3 und 6 des Grundgesetzes zu überarbeiten. In der damals gültigen Fassung des bundesdeutschen Grundgesetzes lautete Artikel 3, Absatz 2: Männer und Frauen sind gleichberechtigt.
    Im Entwurf der neuen Verfassung der DDR, die eine Arbeitsgruppe im Auftrag des Zentralen Runden Tisches erarbeitet und im April 1990 vorgelegt hatte, war derselbe Satz enthalten – und ergänzt um folgende Bestimmung: Der Staat ist verpflichtet, auf die Gleichstellung der Frau in Beruf und öffentlichem Leben, in Bildung und Ausbildung, in der Familie sowie im Bereich der sozialen Sicherung hinzuwirken.
    In Artikel 20, Absatz 2 der DDR-Verfassung hatte es geheißen: Mann und Frau sind gleichberechtigt und haben gleiche Rechtsstellung in allen Bereichen des gesellschaftlichen, staatlichen und persönlichen Lebens. Die Förderung der Frau, besonders in der beruflichen Qualifizierung, ist eine gesellschaftliche und staatliche Aufgabe.
    In der DDR war die Gleichberechtigung der Geschlechter stärker ausgeprägt als in der Bundesrepublik, was sich sowohl in der alten DDR-Verfassung widerspiegelte als auch im Entwurf der neuen. Beide Texte erteilten dem Staat die Aufgabe, die Gleichstellung zu

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