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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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mit einer Entschuldigung: »Ich weiß, Sie wünschen sich Bewerberinnen. Aber glauben Sie mir bitte: Ich habe mit mehreren Frauen gesprochen – sie wollen einfach nicht!«
    Dann bat ich darum, die in Frage kommenden Frauen selbst sprechen zu dürfen. Ich erklärte diesen Frauen die sozialen Folgen ihrer Bewerbungsverweigerung: »Kein Mann wird je einen Anlass sehen, von seiner bisherigen Besetzungspraxis Abstand zu nehmen, wenn keine Frauen auf den Plan treten. Ständig hören wir von Männern: ›Wir würden ja gern Frauen nehmen, aber wir finden keine.‹ Ich wünsche mir, dass Frauen antreten, dieses Argument zu entkräften.« Manch eine bewarb sich dann doch noch. Es ging mir nicht darum, alle Stellen mit Frauen zu besetzen, sondern ich wollte einen gleichberechtigten Wettbewerb. Selbstverständlich sollten die am besten geeigneten Personen befördert werden – Männer und Frauen. In meiner zweiten Hamburger Amtszeit konnte ich 1999 Angela Uhlig-van Buren als Generalstaatsanwältin gewinnen. Sie kam damals aus Bremen und erarbeitete sich schnell einen hervorragenden Ruf in Hamburg. Leider musste sie 2009 ihr Amt aus Krankheitsgründen aufgeben.
    An die Macht, die ich als Senatorin hatte, musste ich mich erst einmal gewöhnen. Drei Jahrzehnte lang hatte ich als Richterin unabhängig gearbeitet, hatte weder Weisungen empfangen noch erteilt. Nun stand ich plötzlich an der Spitze einer hierarchisch organisierten Institution, die aus Tausenden Menschen bestand. Eine solche Organisationsform ist effizient, entspricht aber eher dem männlichen Denken und Handeln als dem weiblichen. Seit Menschengedenken organisieren sich Männer hierarchisch und befolgen die Anweisungen des Anführers. Uns Frauen fällt das schwerer.
    Stand eine wichtige Entscheidung an und ich schlug meinem Mitarbeiterstab nach Abschluss gemeinsamer Diskussion vor: »Nun, ich denke, wir machen es jetzt mal so und so«, dann konnte ich erleben, wie Männer sich prompt erhoben, zu ihren Mitarbeitern gingen und erklärten: »Die Senatorin hat die Weisung gegeben, dass …« Als ich diesem Vorgang zum ersten Mal beiwohnte, war ich verdutzt. Was bitte sollte ich gegeben haben? Eine Weisung? Ich bin ein von der Demokratie überzeugter Mensch, ich denke demokratisch und handle auch danach – wo immer möglich. So fühlte ich mich nicht ganz wohl bei dem Gedanken, Weisungen zu erteilen, denen meine Mitarbeiter, deren Mitarbeiter und dann die Mitarbeiter jener Mitarbeiter bedingungslos zu folgen hatten. Es dauerte, bis ich mit dieser Macht gelassen umgehen konnte und verstand, dass ich mir nichts anmaßte, wenn ich sie gebrauchte, sondern dass genau dies an der Spitze der Hierarchie von mir erwartet wurde – und auch sinnvoll war.
    Marion Knaths, Coach und Seminarleiterin für weibliche Führungskräfte, beschrieb einmal die folgende Situation: Der Vorstandsvorsitzende eines großen Unternehmens ruft die leitenden Angestellten zusammen, um etwas bekanntzugeben. Kurz vor Beginn des Meetings versammeln sich dreißig bis vierzig Angestellte, darunter ein paar Frauen, vielleicht aus der Personal– und der Presseabteilung, wo leitende Frauen nicht unwahrscheinlich sind. Die Mitarbeiter unterhalten sich angeregt – da, plötzlich, verstummt das Stimmengewirr. Bis auf eine Stimme, die redet weiter. Es ist die Stimme einer jungen Frau, sie weiß nicht, warum außer ihr niemand mehr spricht. – Was ist geschehen? Der Boss hat den Saal betreten. Alle Männer schauen aufrecht sitzend nach vorn, geben keinen Laut von sich, denn jetzt redet die Nummer eins. Nur die junge Frau kennt diesen Ritus noch nicht, deshalb verstummt sie als Einzige nicht.
    Ähnliche Situationen habe ich einige Male selbst erlebt. Für die jungen Frauen, die in die Stille hineinsprachen, waren sie peinlich, aber verzeihlich. Wie viele andere Frauen auch hatten sie wenig Gefühl für Hierarchien. Selbstverständlich ist ihnen der Fauxpas nicht wieder unterlaufen, sie konnten das angemessene Verhalten erlernen.
    »Ich danke Ihnen. Auf Wiedersehen.« Der Vorstandschef hat seinen Vortrag beendet, die Angestellten sind dabei, sich schweigend zu erheben, da winkt eine Hand, da erklingt eine Stimme: »Darf ich einen Vorschlag machen? Man könnte es doch auch so und so sehen …« Die Angestellten erstarren. Der Vorstandsvorsitzende verlässt den Raum, als hörte er nichts. Daraus folgt:
1.  Mit dem Häuptling spricht man nur, wenn er dazu auffordert.
2.  Laute Kritik am Häuptling ist vollends

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