Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
Vom Netzwerk:
Senatorin werden möchte, habe ich mir vor meinem Besuch bei Ihnen gestellt. Ich habe sie bejaht, und deshalb sitze ich hier.«
    Ob ich für den Posten die Richtige war, konnte ich nicht wissen. Mit Sicherheit mangelte es mir an Kenntnissen und Erfahrung, ich kannte den Verwaltungsbetrieb der Justizbehörde nicht. Doch ich fand, wieder einmal: Wir Frauen können uns nicht beklagen, dass uns nichts angeboten wird, und dann ablehnen, wenn ein Angebot kommt. Also: Ja! So einfach war das – und so kompliziert.
    Kurz darauf musste ich mich dem Landesvorstand der SPD vorstellen. Mir war bekannt, dass nicht wenige Politiker gegenüber Quereinsteigern wie mir Vorbehalte hatten. Für die Partei hatte ich noch nichts geleistet, während andere über Jahre Parteiarbeit erbracht hatten. Ein erfahrener Kollege riet mir, mich so vorzustellen, dass die anderen mich gleich einordnen konnten. Aha, kein Problem! Ich trat also vor, nannte meinen Namen und wenige biographische Daten. »Und damit ihr gleich Bescheid wisst: Ich bin die Wichtelrichterin.«
    Ein Stöhnen ging durch die Reihen. »Wichtelrichterin« – so hatte mich die Presse getauft, als mein OLG-Senat entschieden hatte, dass Nutzer von Gemeinschaftsgärten dort gegen den Willen der anderen Nutzer keine Gartenzwerge aufstellen durften. Die Medien hatten das Ganze so verdreht, dass alle Welt meinte, ich verböte Gartenzwerge generell. Es lag lange zurück, haftete mir aber weiterhin an. Ein Mitglied des SPD-Landesvorstands war Ingo Kleist, man nannte ihn Hamburgs obersten Kleingärtner, denn seit vielen Jahren war er Vorsitzender des »Landesbundes der Gartenfreunde in Hamburg«, das ist der Dachverband Hamburger Kleingartenvereine. Und ein Großteil aller deutschen Gartenzwerge bevölkerte Schrebergärten. Angriff ist die beste Verteidigung, dachte ich mir. Während ich mich als Wichtelrichterin vorstellte, blickte ich Herrn Kleist direkt in die Augen. Er fand das bestimmt nicht witzig, blieb aber gelassen. Später lernten Ingo Kleist und ich uns besser kennen und schlossen Freundschaft.
    Am Tag nach meiner Amtseinführung ließ ich mich bei Herrn Voscherau melden und sagte: »Herr Bürgermeister, ich gehe davon aus, dass Sie mit diesem Senat Erfolg haben wollen.«
    »Ja, selbstverständlich.«
    »Erfolg kann der Senat nur haben, wenn alle Senatoren und Senatorinnen erfolgreich arbeiten. Stimmen Sie mir zu?«
    »Ja, sicher.«
    »Das wird leider nicht gelingen, weil ich, wie Sie wissen, keinerlei Verwaltungserfahrung habe. Deshalb brauche ich einen Staatsrat.« Ein Staatsrat ist in Hamburg das, was in anderen Ländern der Staatssekretär ist. Es handelt sich dabei um ausgewiesene Verwaltungsfachleute.
    »Ihr Vorgänger brauchte keinen Staatsrat«, wandte der Bürgermeister ein.
    »Das ist mir bekannt, aber ich brauche einen, sonst haben wir keinen Erfolg.«
    Daraufhin wurde mir Dr. Barbara Bludau zugeordnet, eine FDP-Frau – sie war zu Beginn der vorangegangenen SPD/FDP-Regierung in die Innenbehörde gekommen. Als Politikanfängerin versprach ich mir von einer Staatsrätin auch Beratung in Bezug auf innerparteiliche Fragen. Eine Staatsrätin, die der FDP und damit der Opposition angehörte, schien mir deshalb nicht geeignet. Dr. Voscherau meinte jedoch, wir würden schon zurechtkommen. So war es dann auch. Die Staatsrätin erwies sich als sehr gute Verwaltungsfrau und Ratgeberin, und wir sind bis heute eng befreundet.
    Als Richterin hatte ich gelernt, dass ich nur meinem Gewissen und dem Gesetz unterworfen bin. Ich war und bin es gewohnt, unabhängig zu denken und auszusprechen, was ich meine. Wenn ich als Richterin etwas nicht weiß, nicht kann oder nicht verstehe, muss ich mein Defizit offenlegen und beheben. Dabei brauche ich meistens Hilfe. Manche Menschen denken in entscheidenden Situationen: Ich habe keine Ahnung – hoffentlich merkt es niemand. Aufgrund meiner Erfahrungen als Richterin ist mir diese Denkweise fremd. Und mit meiner Denk– und Handlungsweise bin ich auch in der Politik immer ganz gut zurechtgekommen.
    In den ersten Monaten als Justizsenatorin nahm ich private Nachhilfestunden ; dreimal wöchentlich ließ ich morgens um sieben Uhr einen Wirtschaftsprüfer zu mir nach Hause kommen, der mich im öffentlichen Haushaltsrecht unterrichtete. Ich kannte das Vokabular nicht und hätte in den Haushaltsverhandlungen womöglich nicht gewusst, wovon die Rede war. Schon da hätte ich scheitern können. Mit dem Privatunterricht beugte ich vor, natürlich auf

Weitere Kostenlose Bücher