Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
tieftraurige Abschiede und schmerzhafte Verluste. Mir ist selbstverständlich bewusst, dass dies dem natürlichen Lebenslauf entspricht, schon gar wenn man ein so hohes Alter erreicht hat wie ich. Aber logische Erklärungen sind ein schwacher Trost für eine Trauernde, auch wenn sie eigentlich ein rational denkender Mensch ist. So muss ich mir selbst immer wieder bewusst machen, dass die Trauer um einen Freund oder eine Freundin einen positiven Hintergrund hat: Ich durfte einen Menschen kennenlernen, mit dem mich vieles verband, und ich durfte mit ihm oder ihr eine Freundschaft schließen, die mein Leben bereicherte – und durch die Erinnerung für immer bereichern wird.
Freundschaften sanft ausklingen zu lassen oder mich im Streit von Freunden zu trennen entspricht nicht meinem Charakter. Es kann vorkommen, dass man länger nichts voneinander hört, die meisten meiner Freundinnen und Freunde sind wie ich vielbeschäftigt. Aber dem Motto »Aus den Augen, aus dem Sinn« bin ich nie gefolgt. Auch mit den Männern, mit denen ich einmal zusammen war, blieb ich nach der Trennung immer in freundschaftlicher Verbindung – mit nur einer Ausnahme, meinem geschiedenen Ehemann. Wen und was ich einmal schätzen gelernt habe, gebe ich, wenn möglich, nicht auf. Das gilt auch für Handwerker, die ich immer wieder mit Arbeiten in und an meinem Haus betraue – zum Teil seit dreißig oder vierzig Jahren ; oder meine Friseurin in Schleswig-Holstein: Zu ihr gehe ich seit Anfang der siebziger Jahre. Jetzt wohne ich schon so lange hauptsächlich in Berlin, und es kommt immer wieder vor, dass ich von Berlin nach Schleswig-Holstein fahre, nur um mir die Haare machen zu lassen.
Mein Augenarzt praktizierte früher in Hamburg, dann erhielt er einen Ruf an die Uniklinik in Dresden – also fahre ich regelmäßig dorthin. Das alles hat sicher mit der mir quasi angeborenen Beständigkeit zu tun, auch mit meinem vielsei-tigen, ausgefüllten Leben: Je weniger Regelmäßigkeit man im Alltag hat, desto wichtiger werden Konstanten wie das Zuhause und der Arzt, dem ich vertraue. Außerdem will ich unnötige Experimente vermeiden. Was sich bewährt hat, be-wahre ich.
Durch die Vielzahl der Freunde, Kollegen und anderer Menschen, denen ich mich in irgendeiner Weise verbunden fühle, entstehen beinahe automatisch immer wieder Querverbindungen. Bittet mich meine Freundin X um einen Rat, denke ich vielleicht: Mein Freund Y wäre jetzt der bessere Ratgeber. Also frage ich Y, ob X ihn anrufen darf. Schon ist ein neuer Kontakt entstanden – und es bildet sich etwas, das in den letzten Jahren angeblich modern geworden ist und um das sich einige Mythen ranken: das Netzwerk. Tatsächlich gibt es seit Jahrtausenden Netzwerke. Sie sind in der Regel überhaupt nicht geheimnisvoll, sondern funktionieren nach dem einfachen Prinzip des Schaffens und Pflegens von Bekanntschaften, der gegenseitigen Unterstützung, des gegenseitigen Bekanntmachens und des Verfolgens gemeinsamer Ziele. Ohne ein enges, gutfunktionierendes Netzwerk hätte ich niemals all das machen und erreichen können, was ich bisher gemacht und erreicht habe. Ob im Beruf, ob beim Verfolgen gesellschaftspolitischer Anliegen, ob im Privatleben: Ohne Netzwerke geht es nicht – oder zumindest geht es nicht gut.
Wenn Menschen zwischen ihrem beruflichem Netzwerk und ihrem privaten Freundeskreis eine Trennlinie ziehen – wie ich höre, tun das nicht wenige –, verzichten sie auf den Ausbau ihres persönlichen Netzwerkes. Je mehr Verbindungen es innerhalb eines Netzes gibt, desto besser hält es und desto zahlreicher sind die Anknüpfungspunkte nach innen und außen. Sicher haben die Menschen, die lieber auf mehrere getrennte als auf ein großes, weitverzweigtes Netz zurückgreifen, ihre guten Gründe. Für mich selbst sehe ich weder die Notwendigkeit, noch habe ich das Bedürfnis, solch eine Trennung zu machen. Ich wüsste auch gar nicht, wo ich sie vornehmen sollte und auf wie viele Einzelnetze ich meine Freunde und Freundinnen, meine geschätzten Kollegen und Kolleginnen, politischen Mitstreiter und Mitstreiterinnen sowie die guten Bekannten verteilen sollte. Viele, wahrscheinlich die meisten Freundschaften, die ich geschlossen habe, sind aus beruflichen Zusammenhängen hervorgegangen – schon allein deshalb, weil der Beruf eine zentrale Rolle in meinem Leben spielt. Ich hatte das Glück, fast nie eine Arbeit nur deshalb machen zu müssen, weil ich das Geld brauchte. Alle haupt– und
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