Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
nebenberuflichen Tätigkeiten haben meiner Persönlichkeit entsprochen und mich auch als Privatmensch erfüllt.
Mein Leben bildet eine Einheit, und deshalb tun es die Menschen, mit denen ich dieses Leben teile, in gewisser Weise auch – wobei die Familie selbstverständlich eine Sonderstellung einnimmt. Jeder, der mich kennt, hat mit genau derselben Lore Maria Peschel-Gutzeit zu tun, die fast alles, was sie im Leben unternimmt, gern unternimmt. Und überall traf und treffe ich gleichermaßen interessante Menschen, die auch füreinander interessant sein können ; sei es am Gericht, sei es im Zusammenhang mit politischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Anliegen, die ich verfolge, sei es in meiner Kanzlei, sei es in meiner Hamburger oder Berliner Nachbarschaft, sei es bei obersten Bundesgerichten, im Bundesrat, im Rathaus, bei einer kleinen Geburtstagsfeier oder einem glanzvollen Ball.
Bis heute erhalte ich sehr viele Einladungen zu Vorträgen, Festen, Mittagessen, Empfängen und anderen Veranstaltungen. Die Einladungen kommen zum Beispiel von Unternehmen, von wissenschaftlichen Einrichtungen, von staatlichen Institutionen oder von Vereinen, von ehemaligen oder aktuellen Kollegen, von politischen Parteien oder kulturellen Einrichtungen. Obwohl ich schon lange kein öffentliches Amt mehr bekleide, hat die Anzahl der interessanten Einladungen, die ich erhalte, nicht nachgelassen. Darüber freue ich mich, denn von vielen Freundinnen und Kollegen höre ich, dass man quasi automatisch von der Gästeliste gestrichen wird, wenn die Position oder das politische Amt endet. Oft sind es so viele Einladungen, dass ich sie leider nicht alle wahrnehmen kann. Wohin gehe ich, wem sage ich ab? Die Wahl fällt mir immer wieder schwer. Oder ich besuche an einem Tag mehrere Veranstaltungen nacheinander. Das kommt manchmal – selten – vor. Bisweilen fällt es den anderen Gästen gar nicht auf, denn viele wissen schon: Ich bleibe nur kurz.
Fast immer bin ich ein »Lifo« oder »Fifo«: Last in, first out oder First in, first out . Schon als Senatorin verhielt ich mich so. Ich komme an, setze mich freundlich dazu und führe ein nettes Gespräch. Je nachdem, um was für eine Veranstaltung es sich handelt, drehe ich dann vielleicht noch eine Runde mit meinem Glas in der Hand, grüße alle, die ich kenne, und tausche ein paar Neuigkeiten aus. Und alsbald entferne ich mich – möglichst unbemerkt. Außer, selbstverständlich, es handelt sich um einen längeren Vortrag oder ein großes Essen. Meine Freundin Ingeborg sagte einmal: »Wer etwas mit dir besprechen möchte, muss auf dich zugehen, sobald er dich sieht. Wenn man nicht aufpasst, bist du plötzlich verschwunden.« Aber Ingeborg nimmt mir das nicht übel, und ich hoffe, dass auch andere Menschen sich durch mein Verhalten nicht brüskiert fühlen. Falls doch und falls ich einmal davon erfahren sollte, würde ich ihnen erklären, dass mein spätes Kommen und frühes Gehen nicht mit ihnen zu tun hat, sondern allein mit mir.
Es sind vor allem zwei Gründe, die mich zu frühem Gehen veranlassen: Als Chefin, die ich lange war und auch jetzt noch in meiner Kanzlei bin, habe ich erfahren, dass es zwar gern gesehen wird, wenn Chef oder Chefin Einladungen annimmt und teilnimmt – aber bitte nicht zu lange. Deshalb habe ich es vor allem als Senatorin so gehalten, dass ich nach relativ kurzer Zeit ging mit der Bemerkung: »Ich weiß doch, dass es erst gemütlich wird, wenn die Schwiegermutter gegangen ist!« Und noch aus einem anderen Grund habe ich meine Anwesenheit bei solchen Veranstaltungen zeitlich begrenzt: Nur so konnte ich sicherstellen, dass ich am nächsten Tag frisch genug war, um die dann anstehenden Aufgaben vernünftig zu erfüllen. Der Mensch muss seine Kräfte kennen und einteilen – daher »Lifo« oder »Fifo«!
Wie viel Kommunikation ist für den einzelnen Menschen gut und wichtig? Dieses Thema beschäftigt die heutige Gesellschaft und wird die von morgen wohl noch mehr beschäftigen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mir weder Freude bereitet noch einen sonstigen Nutzen bringt, auf jeder Hochzeit zu tanzen, schon gar nicht vom Anfang bis zum Ende. Wer mich kennt, weiß, dass ich mich gern austausche, gern Freunde treffe, gern feiere und fröhlich bin. Dennoch muss ich meine Ressourcen einteilen und mich gelegentlich zurückziehen. Ja, ich bin gern auch mal allein zu Hause, schenke mir ein Glas Wein ein und sehe eine Stunde fern oder lese ein schönes Buch.
Weitere Kostenlose Bücher