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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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Strafanstalt bestand aus mehreren Gebäuden, und um einen Überblick über alle Dächer zu bekommen, musste ich einige Abgründe und Höhenunterschiede überwinden. Aufgeregt folgte mir eine ganze Delegation von Gefängnismitarbeitern einschließlich des Leiters. Es zeigte sich schnell, dass mehrere Stellen nicht ausreichend gesichert waren, da konnte und musste nachgebessert werden.
    Meine Aktion war kein PR-Gag, weder Journalisten noch Fotografen waren anwesend. Darum ging es mir überhaupt nicht, sondern ich wollte mir ein Bild machen. Als Richterin in Bauprozessen war ich ja jahrelang immer wieder durch Baustellen geturnt, ich hatte gelernt, dass es um ein Vielfaches effektiver ist, sich einen Ort des Geschehens selbst anzusehen, als sich davon berichten zu lassen. Aus demselben Grund stieg ich später auf einen Turm in der Haftanstalt Tegel. Auch dort waren Gefangene geflüchtet, und es hieß, dies sei nicht zu vermeiden gewesen.
    Wenngleich nicht so intensiv wie in Hamburg, war ich doch auch in Berlin viel mit dem Strafvollzug beschäftigt – und machte mir dabei nicht nur Freunde. Kurz nacheinander hatten wir zwei furchtbare Zwischenfälle. Gefangene, die wegen Kindesmissbrauchs einsaßen, hatten während eines Ausgangs versucht, sich an Kindern zu vergehen. Einer davon mit Erfolg. Nur sehr leise drang die Information an mein Ohr, denn jeder wusste: Jetzt gibt es Ärger. Die Grenze, bis zu der ich mich stets um Verständnis und Freundlichkeit bemühe, war weit überschritten. »Was werden Sie ändern?«, fragte ich die zuständigen Beamten. Sie reagierten mit Schulterzucken. »Übermorgen legen Sie mir Ihre Vorschläge vor.« Nach zwei Tagen kamen die Herren mit betrübten Gesichtern in mein Büro und erklärten, sie wüssten nicht, was sie ändern könnten, das Strafvollzugsgesetz lasse keine Verschärfungen zu.
    »Ist das Ihr Ernst? Was für ein Armutszeugnis!«, stellte ich sie zur Rede. »Sie sind die höchsten Beamten hier im Hause und werden entsprechend gut bezahlt. Dann nehmen Sie endlich auch Ihre Pflichten wahr und lösen Sie drängende Probleme!«
    »Ja, nun, aber Sexualstraftäter haben wie alle anderen ein Recht auf Lockerungen …«
    »Ich habe verstanden, Sie wollen oder können keine Lösung bieten«, fiel ich dem Beamten ins Wort. »Dann erkläre ich Ihnen jetzt meine Lösung: Ab sofort geht kein Insasse, der ein Kind missbraucht hat, ohne Begleitung in Vollzugslockerung.«
    Es hagelte Protest: »Wir können nicht gegen das Strafvollzugsgesetz verstoßen!« – »Aber wir können zulassen, dass Häftlinge auf den nächsten Spielplatz gehen und sich an Kinder heranmachen?«
    In Ausübung meines Amtes führte ich gegen den massiven Widerstand meines Hauses Beschattungen ein. Die Gefangenen wurden informiert: »Wegen einiger Vorfälle während des Ausgangs gibt es folgende Änderung: Während Sie draußen sind, folgt Ihnen jemand mit einigem Abstand. Vielleicht nicht jedes Mal, vielleicht nicht ununterbrochen. Aber seien Sie sich immer bewusst: Sie könnten einen Schatten haben, den Sie nicht bemerken.« Bei den Beschattungen kooperierte ich mit dem Strafvollzug in Brandenburg. Der dortige Justizminister »lieh« mir Personal, damit die Gefangenen ihre Beschatter auf keinen Fall kannten oder kennenlernten. Im Gegenzug taten Berliner Justizbedienstete in Brandenburg Dienst. Mein Ziel, Kinder zuverlässig zu schützen, wurde erreicht: Es gab keinen weiteren solchen Zwischenfall.

    Im Herbst 1997 übernahm Ortwin Runde das Amt des Ersten Bürgermeisters in Hamburg und trug mir erneut das Justizressort an. Die SPD war dabei, zusammen mit den Grünen einen neuen Senat zu bilden, Ortwin Runde suchte Frauen, und er suchte Politikerinnen mit Hamburg-Erfahrung. So kam er auf mich. Ich war in Berlin sehr freundlich aufgenommen worden, hatte mich gut eingelebt, ich liebte die Stadt und meine Arbeit. Ich hatte vieles bewirken können und war mit bestmöglichem Ergebnis wiedergewählt worden. Der Berliner Politik mir nichts, dir nichts den Rücken zu kehren, fand ich undankbar. Andererseits fühlte ich mich meiner Heimatstadt verpflichtet. Ortwin Runde argumentierte, die neue rot-grüne Koalition verunsichere viele Hamburger, deshalb sei es besonders wichtig, bekannte Senatorinnen und Senatoren einzusetzen, die das Vertrauen der Bevölkerung genossen. Ich überlegte hin, ich überlegte her – und entschied mich für Hamburg, wo ich endlich eine vollständige Legislaturperiode im Amt blieb.
    Im Namen

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