Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
Dienstwagen zum Rathaus, mein Chauffeur brachte mich. Er war ein freundlicher, zuverlässiger und professioneller Fahrer. Zu den Voraussetzungen, die ein Politikerchauffeur erfüllen muss, gehören natürlich nicht nur gute Fahrkenntnisse, sondern zum Beispiel auch Diskretion, Flexibilität und Organisationsgeschick. Zu Beginn meiner Amtszeit hatte mich die Vorstellung, nicht selbst zu fahren, verunsichert. Aber dann hatte ich schnell begriffen, dass die Arbeit als Senatorin nicht zu schaffen war, wenn ich während des Dienstes selbst am Steuer saß. Ich musste die Fahrtzeiten nutzen, um mit meinen Mitarbeitern zu telefonieren, Dokumente zu lesen, mich auf Vorträge vorzubereiten – oder auch, um mich für ein paar Minuten auszuruhen. Bis dahin hatte ich einen Golf GTI gefahren, mein Dienstwagen als Senatorin war ein Mercedes mit Automatik. Ein komfortables Auto, das sich für einen sportlichen Fahrstil wie den meinen eignete. Also schaffte ich den Golf ab und nutzte den Dienstwagen auch privat, was ausdrücklich erlaubt war, man musste die Privatfahrten nur dokumentieren und die Kosten tragen.
Nach der Verabschiedung der Senatorinnen und Senatoren verließ ich den Sitzungssaal der Bürgerschaft, draußen stand mein Fahrer, gab mir die Hand und sagte: »Auf Wiedersehen, Frau Peschel-Gutzeit. Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen alles Gute.« Er wirkte sehr förmlich und ein bisschen verlegen. Ich dankte ihm ebenfalls, verabschiedete mich aber nicht, denn ich musste nun in meine Behörde fahren, um mein Büro zu räumen. »Es tut mir sehr leid«, sagte der Fahrer, »Sie haben jetzt keinen Dienstwagen mehr, und ich darf Sie nicht mehr fahren. Ich fahre jetzt den neuen Senator.« Die Situation war ihm sichtlich unangenehm.
Plötzlich war ich unmotorisiert und überhaupt nicht darauf vorbereitet. Mit einem Taxi fuhr ich nach Hause und überlegte, wie ich meinen Büro-Auszug organisieren sollte. Aber ich grübelte nicht lange, sondern rief Ursula an, meine Freundin und ehemalige Rallye-Teampartnerin. Ich schilderte ihr meine Situation, und sie sagte: »Das passt perfekt, ich fahre morgen in den Urlaub, du kannst währenddessen meinen Wagen haben.« Am nächsten Tag trafen wir uns am Flughafen und machten Auto-Übergabe. Natürlich bestellte ich mir sofort einen eigenen Wagen. In der Folge blieb ich nie wieder ohne eigenes Auto. Als Senatorin in Berlin und zurück in Hamburg, immer behielt ich meinen Privatwagen neben dem Dienstwagen. Mehrfach fragten mich andere Politiker, warum ich so vorging. Manche dachten, ich wüsste nicht, dass die private Nutzung des Dienstwagens genehmigt war. Dann erklärte ich ihnen meine Beweggründe: »Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass ich von heute auf morgen ohne Dienstwagen dastehen könnte. Ich fahre auch sehr gern Bahn und Taxi, aber auf die Möglichkeit, mich jederzeit in mein eigenes Auto zu setzen, möchte ich nicht verzichten.«
Sicherlich hätte es damals, im Jahr 1993, verschiedene Möglichkeiten gegeben, meine missliche Lage zu meistern. Natürlich hätte ich ein Auto mieten können. Aber wie in vielen Lebenssituationen war auch in dieser die freundschaftliche Lösung die schnellste, unkomplizierteste und beste. Ich habe damals nicht damit gerechnet, dass meine Freundin mir ihr Auto leiht, ich hätte es überhaupt nicht von ihr erwartet. Andererseits hätte ich mich bei einer umgekehrten Konstellation wie sie verhalten, ihr meinen Wagen angeboten. Das macht meiner Meinung nach eine Freundschaft aus: dass man jederzeit füreinander da ist, sich gegenseitig mit Rat und Tat zur Seite steht. Und wenn ich »jederzeit« sage, dann meine ich es auch. Braucht ein guter Freund, eine gute Freundin dringend meine Hilfe, tue ich alles, um jetzt und sofort für ihn oder sie da zu sein.
Da ich ein aktiver und kommunikativer Mensch bin, mache ich bis heute viele neue Bekanntschaften und schließe neue Freundschaften. Da ich zudem ein sehr beständiger Mensch bin, ist mein Freundeskreis über die Jahrzehnte immer weiter gewachsen. Daraus folgt, dass immer häufiger das Telefon klingelte und mein Rat gefragt war, was bis heute manchmal viel Zeit kostet. Aber das stört mich gar nicht, denn ich bin gern für Freunde da, und natürlich fühlt es sich gut an, zu wissen, dass es umgekehrt genauso wäre: dass mir im Bedarfsfall zahlreiche gute Freunde und Freundinnen zur Seite stünden, bedingungslos, hier und jetzt.
In den letzten Jahren sind leider viele meiner Freunde gestorben ; es waren
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