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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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Hamburgs setzte ich mich vor dem Bundesverfassungsgericht für die Beibehaltung des Länderfinanzausgleichs ein. Hamburg war und ist das einzige Land, das immer gezahlt, nie genommen hat. Einige Bundesländer, die ebenfalls zahlen mussten, hatten den Länderfinanzausgleich angegriffen mit der Begründung, Leistung müsse sich lohnen. Ich vertrat die Ansicht, der Ausgleich trage zur Wahrung des sozialen Friedens bei und müsse deshalb bleiben. Er blieb.
    Ebenfalls vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigte ich als Vertreterin Hamburgs die Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes. Heute können die Hamburger sich ihre Stadtgesellschaft ohne homosexuelle »Ehepaare« kaum noch vorstellen.
    Gegen vehemente Widerstände erreichte ich die Abschaffung der alljährlichen bundesweiten Gerichtsferien von zweimonatiger Dauer im Sommer. Und es gab noch eine ganze Reihe weiterer bundespolitischer Anliegen, die ich als Hamburger Senatorin durchsetzen konnte. Mindestens genauso intensiv widmete ich mich selbstverständlich der Stadtpolitik, auch mit dem Strafvollzug war ich wieder ausgiebig beschäftigt. Wie zuvor schon in Berlin führte ich auch in Hamburg »Tage der offenen Tür« in Gefängnissen ein, zu denen wir die Medien einluden. Der Erfolg war, dass es in der Presse nicht mehr hieß, der Strafvollzug sei so vergnüglich wie ein Ferienlager oder es handele sich um einen »Hotelvollzug«.
    Ich sorgte auch dafür, dass in Hamburger Haftanstalten Spürhunde eingesetzt wurden. »Haha, das Gefängnis als Tierheim!«, lästerten Kritiker. Dabei war es eine Tatsache, dass die seltenen Drogenrazzien, die es bis dahin gegeben hatte, kaum mehr bewirkten als ein Konzert der rauschenden Toilettenspülungen auf allen Etagen.
    Einmal rief mich der Leiter des Untersuchungsgefängnisses an einem Sonntagabend an: »Auf der Krankenstation soll eine Patientin sexuell missbraucht worden sein.« Im Untersuchungsgefängnis befand und befindet sich die zentrale Krankenstation aller Hamburger Haftanstalten. Laut Auskunft des Anstaltsleiters war das Opfer eine Gefangene, der mutmaßliche Täter ein Bediensteter. Ohne zu zögern, fuhr ich hin, bat die zuständigen Beamten, ebenfalls dorthin zu kommen, und wir ordneten an: Keiner telefoniert nach draußen. Vor allem der mutmaßliche Täter, der nun Feierabend hatte und auf dem Weg nach Hause war, durfte in diesem Stadium auf keinen Fall informiert werden. Meine Beamten und ich ließen uns alles berichten, ich forderte die Kriminalpolizei an, gemeinsam befragten wir das Opfer und die Zeugen. Dabei erfuhren wir auch, dass ein Gefängnisbediensteter sich nicht an meine Order gehalten, sondern den Beschuldigten darüber informiert hatte, was nun im Untersuchungsgefängnis vor sich ging. Wir riefen beim Beschuldigten zu Hause an und erfuhren von seiner Frau, dass er nicht angekommen war. Am nächsten Morgen fand man ihn in einem Wald, er hatte sich mit seiner Dienstwaffe erschossen.
    Ich setzte eine Untersuchungskommission ein, bat meinen ehemaligen Generalstaatsanwalt, der früher den Strafvollzug geleitet hatte, den Vorsitz zu übernehmen. Er willigte ein. Am Ende wurde alles aufgeklärt: Der mutmaßliche war der tatsächliche Täter, er hatte die Gefangene sexuell missbraucht, ein anderer Bediensteter hatte Wache geschoben, und mehrere weitere Kollegen müssen gewusst haben, was passierte. Es war, alles in allem, ein Super-GAU – vom Missbrauch über die Komplizenschaft unter den Bediensteten bis hin zum Suizid des Täters. Der Fall hat nicht nur mich lange beschäftigt.
    Katastrophen wie diese lassen sich nicht vollständig vermeiden. Man muss alles Erdenkliche tun, um vorzubeugen. Dennoch bleibt ein Risiko, was für mich sehr schwer zu akzeptieren war, weil ich es gewohnt bin, Missstände aufzudecken und abzustellen.
    Insgesamt war die mehr als zehnjährige Amtszeit als Senatorin in vier Kabinetten und zwei Bundesländern mit die interessanteste Phase meines Lebens. Ich möchte sie auf keinen Fall missen. Deshalb kann und möchte ich auch andere Frauen guten Gewissens ermutigen, sich in der Politik zu engagieren, vielleicht zunächst in der Kommunal-, dann in der Landes– und schließlich in der Bundespolitik. Es gibt nichts Spannenderes, nichts, womit man (und frau) mehr bewirken und verändern kann! Und was einem an Kenntnissen und Fähigkeiten fehlt, lässt sich lernen!

Mit Netz, ohne Seilschaft
    Als 1993 meine erste Amtszeit als Hamburger Justizsenatorin endete, fuhr ich in meinem

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