Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
einer Frau wahrscheinlich in Begleitung eines Lächelns daher. Liebenswürdigkeit wirkt. Immer. Und den meisten Männern fällt sie nicht leicht.
Ein Bewusstsein dafür, dass ich als weiblicher Jurist eine Sonderstellung in der Gesellschaft einnahm, entwickelte ich nicht. Genauso wenig, wie ich als Studienanfängerin darüber nachgedacht hatte, widmete ich mich dem Thema später. Für mich war der eingeschlagene Weg selbstverständlich. Wenn man so will, fehlt mir in dieser Hinsicht eine Art Gen ; ein Bewusstseinsgen, das eine Frau spüren lässt, sie könne weniger oder müsse furchtbare Kämpfe gegen die Männerwelt ausfechten. Meine Erfahrungen in der Frauenkanzlei verstärkten die mir innewohnende Überzeugung der selbstverständlichen Gleichberechtigung von Mann und Frau. Auch an anderen Referendarstationen erlebte ich überwiegend Ausbilder und Kollegen, die meine Anwesenheit so natürlich nahmen wie Sonne und Regen. Nie fühlte ich mich als Frau zurückgesetzt, und da ich keine Neigung zu diesem Gefühl habe, bemerkte ich tatsächliche Diskriminierungen nur im Extremfall – so wie bei der Kommilitonin in Hamburg, die der Professor entwürdigend behandelte.
Im Jahr 1957 besuchte ich für ein halbes Jahr die Verwaltungshochschule in Speyer. Als Referendar konnte man sich dafür bewerben, jedes Bundesland schickte einige interessierte Studenten an jene Hochschule, um die Kenntnisse im Fach Verwaltungsrecht zu vertiefen. Mir war das Fach während des Studiums besonders schwergefallen, und ich wusste, dass es ein wichtiger Sektor war. Es ist ein großer Bereich, das Steuerrecht gehört dazu, das Schulrecht, das öffentliche Baurecht und vieles mehr. Ich hatte bereits eine Referendarstation beim Verwaltungsgericht absolviert, aber mir fehlten Grundlagen, manches erschloss sich mir nicht. So unwissend, wie ich war, wollte ich nicht bleiben, deshalb ging ich nach Speyer, hörte dort fünf Tage die Woche von morgens bis abends Vorlesungen und schrieb an den Wochenenden Klausuren.
Theoretisch hätte ich auch beschließen können, Verwaltungsrecht liegt mir nun einmal nicht, und mich bemühen können, die Materie elegant zu umschiffen. Aber solch ein Verhalten entspricht nicht meiner Natur. Es ging ja weder um eine Geheimwissenschaft noch um eine unbezwingbare Herausforderung. Mir wäre es lächerlich erschienen, mich vor dem Fach zu drücken. Nach jenem halben Jahr war ich zufrieden, das Rechtsgebiet machte mir keine Angst mehr. Mein Leben lang habe ich immer wieder davon profitiert. Sei es bei steuerrechtlichen Fragen, sei es bei einem alten Haus, das ich kaufte und in Eigentumswohnungen aufteilte. Die Baubehörde verlangte von mir, Autostellplätze zu schaffen – ich wusste nicht, warum und wie das geschehen sollte. Ich klagte vor dem Verwaltungsgericht und bekam recht.
Hellmuth war ein blitzgescheiter Mann, voller Energie und Lebenslust, er liebte die Welt, sog alles in sich auf, er interessierte sich für die verschiedensten Themen, wollte alles verstehen. Wir waren sofort fasziniert voneinander, konnten tage– und nächtelang miteinander reden. Er lachte so gern! Und brachte mich mit seinem intelligenten Humor zum Lachen. In Speyer auf der Hochschule lernte ich Verwaltungsrecht fürs Leben – und fand eine Liebe fürs Leben.
Nicht lange zuvor war meine erste Liebesbeziehung zu Ende gegangen. Sie hatte acht Jahre gehalten, dann trennten sich unsere Wege, in aller Freundschaft, es fiel kein böses Wort. Gerd und ich hatten uns schlichtweg auseinandergelebt. Ein Phänomen, das es anscheinend häufiger gibt. Erich Kästner machte sich einen schönen Reim darauf: »Als sie einander acht Jahre kannten / (und man darf sagen, sie kannten sich gut), / kam ihre Liebe plötzlich abhanden. / Wie andern Leuten Stock oder Hut.« Bis heute haben wir Kontakt zueinander, wir telefonieren, und manchmal besuche ich ihn und seine Frau – weit über fünfzig Jahre nach unserer Trennung.
Hellmuth Streicher kam aus Bayern und besuchte zusammen mit mir die Verwaltungshochschule. Nach unserer Zeit in Speyer begleitete ich ihn in seine Heimat, ich suchte mir eine Referendarstation in München bei der Bauvereinsbank und nahm mir dort ein Zimmer. Im Frühjahr 1958 verlobten wir uns, dann musste ich zurück nach Hamburg, um meine letzte Referendarstation beim Oberlandesgericht zu absolvieren. Hellmuth machte im September das zweite Staatsexamen, er war ein halbes Jahr älter als ich. Zu seiner mündlichen Prüfung fuhr ich nach
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